Kapitel 13 – „Sie haben alles verraten, woran ich geglaubt habe“ – Ro Laren und die finale Aussprache

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Steckbrief
Vorangegangene Serie(n): TNG (Season 5 – 7)
Auftauchen in PICARD: Staffel 3
Spezies: Bajoranerin
Geboren: 2340, Bajor
Eltern: Ro Talia; Ro Gale
Rolle in PICARD: ehemalige Navigatorin der U.S.S. Enterprise-D (2368 – 2370); ehemalige Maquis-Kämpferin (2370 – 2373); nun Commander des Sternenflotten-Geheimdienstes
Kind(er): keine
Schauspielerin: Michelle Forbes

 

Dramatischer Fixpunkt der fünften Episode von Season drei, Wechselbälger, ist das Wiedersehen von Jean-Luc Picard und der Bajoranerin Ro Laren – über 30 Jahre nach der TNG-Episode Die Rückkehr von Ro Laren (7×24). Fest steht, dass Ro eine Menge riskiert, um mit ihrem ehemaligen Captain in Kontakt zu treten. Während dieser recht kurzen, aber für beide höchst bedeutenden Begegnung kommen eine Menge Erinnerungen und Gefühle wieder an die Oberfläche und sorgen zwischen beiden für Spannung. Insbesondere die Art und Weise, wie Picard auf das Wiederauftauchen der Bajoranerin reagiert, ist weit komplexer als es zunächst den Anschein macht und verdient eine genauere Betrachtung. Arbeiten wir das Ganze Stück für Stück und im Zusammenhang auf.

 

Wie haben wir Ro Laren in TNG erlebt?

Zu Beginn der fünften TNG-Staffel war Picard, damals noch Captain der Enterprise-D, erstmals auf Ro Laren getroffen (TNG 5×03). Im Zuge einer einmaligen Mission, bei der es darum ging, bajoranische Terroristen aufzuspüren, hatten sie kooperiert. Es war nicht mehr als ein Zweckbündnis gewesen. Ro war eine Menge Antipathie aus der Crew entgegengeschlagen, da sie als verurteilte Verräterin galt. Wie wir erfuhren, diente die Bajoranerin früher auf der U.S.S. Wellington, bis durch ihre Befehlsverweigerung auf Garon II acht Mitglieder des Außenteams getötet worden waren. Infolgedessen wurde Ro vor ein Kriegsgericht gestellt und musste eine Haftstrafe antreten. Nach Aufdeckung einer cardassianischen Verschwörung im Zuge der Ereignisse der Episode Fähnrich Ro wurde die junge Frau mit dem zerrütteten Lebensweg von Picard überredet, bei der Sternenflotte zu bleiben. Während der Mission hatte er ihre unorthodoxen Qualitäten zu schätzen gelernt und war zur Überzeugung gelangt, dass sie eine zweite Chance verdiente. Mit der richtigen Führung, so glaubte er, konnte sie zu einer guten und kompetenten Offizierin heranreifen. Die heimatlose Ro ließ sich auf sein Angebot ein, Teil seiner Besatzung zu werden, woraufhin er in die Rolle ihres Unterweisers rückte.

Mehrere Jahre diente Ro unter Picard an Bord der Enterprise, wo sie den Platz der Navigatorin auf der Brücke einnahm. Neben der Auftaktepisode mit ihr sollte die Bajoranerin noch in sieben weiteren Folgen in Erscheinung treten (TNG 5×05; 5×14; 5×15; 5×18; 5×24; 6×07). Je mehr die Zeit fortschritt, desto leichter fiel es ihr, sich einzufügen. Im Jahr 2370 absolvierte Ro das fortgeschrittene taktische Training der Sternenflotte, das sie erfolgreich abschloss und daraufhin im Rang eines Lieutenants auf die Enterprise zurückkehrte. Picard war sichtlich stolz auf sie. Allerdings währte ihr Aufenthalt nur kurz: Während einer Undercovermission entschied sie sich, zum Maquis überzulaufen (TNG 7×24). Der Maquis war eine Widerstandsorganisation von ehemaligen Föderationssiedlern, deren Welten im Zuge des Friedensvertrags mit der Cardassianischen Union von der Föderation abgetreten worden waren; sie setzten sich gegen den aggressiven Zugriff der Cardassianer und ihre Vertreibung zusehends gewaltsam zur Wehr (TNG 7×20; DS9 2×20; 2×21). Aufgrund einer allmählichen Verhärtung, die die Organisation durchlief, war der Maquis später – unter Führung von Michael Eddington – auch bereit, offen terroristische Mittel anzuwenden (DS9 5×13). Allerdings gab es im heterogenen Verbund dieser milizartigen Fraktion unterschiedliche Strömungen, also nicht nur gewaltbereite, anti-cardassianisch eingestellte Hardliner, sondern auch defensiv agierende Idealisten. Ros Entscheidung, zum Maquis überzulaufen, hatte indes zur Folge, dass sie alle Brücken hinter sich abriss, einschließlich des besonderen Vertrauensverhältnisses zu Jean-Luc Picard.

 

Wie sah Ros weiterer Lebensweg aus?

Mit dem überraschenden Wiederauftauchen von Ro Laren in PICARD stellt sich die Frage, was sie seit ihrem letzten Auftritt in Die Rückkehr von Ro Laren gemacht hat. Wie wir bereits in DS9 und VOY erfuhren, war dem Maquis keine lange Existenz beschieden, da er im Jahr 2373 durch das Dominion – dem neuen Verbündeten der Cardassianer – ausgelöscht wurde (DS9 5×23; VOY 4×15). Mit anderen Worten: Ro verlor ihre neue Wahlheimat nach nur wenigen Jahren wieder. In der Episode PIC 3×05 klärt sie Picard in nur wenigen knappen Sätzen darüber auf, wie ihr Lebensweg nach dem Ende des Maquis ausgesehen hat. Sie lässt ihn wissen, dass sie im Anschluss bereit war, sich der Föderation, die sie jahrelang als Kriminelle verfolgt hatte, zu stellen.

Nach den Jahren beim Maquis habe ich mich der Sternenflotte gestellt. Das Militärgericht hat mich wieder mal zu Gefängnis verurteilt. Aber aufgrund meiner Vergangenheit in terroristischen Vereinigungen hat man mich für den Sternenflotten-Geheimdienst rekrutiert. Ich musste ein mühseliges Rehabilitierungsprogramm durchlaufen, aber habe mich beweisen und langsam hocharbeiten können. Wieder einmal.“ (Ro Laren in PIC 3×05)

Was diesen Sinneswandel bewirkte, bleibt in der Folge offen, doch erscheint Ros Entscheidung, in die Föderation zurückzukehren, durchaus folgerichtig. Zum einen herrschte ein brutaler Krieg, sodass die Überlebenden des Maquis und seiner Kolonien auf Schutz angewiesen waren. Womöglich hat Ro eine gewisse Zahl von Flüchtlingen in Sicherheit gebracht und in Kauf genommen, sich dabei festnehmen zu lassen. Zum anderen war Ro den Konsequenzen ihrer Entscheidungen noch nie aus dem Weg gegangen. Nachdem der Maquis nicht länger existierte, gab es keinen Grund mehr, sich ihrer Bestrafung zu entziehen. Es erscheint nahe liegend, dass sie nach Jahren des Kampfes und des Verlustes so vieler Freunde bei der Widerstandsorganisation auch einfach ausgelaugt, niedergeschlagen und ohne weitere Perspektive war. Dass sie indes rehabilitiert würde, war – erneut – ein glücklicher Zufall für sie, mit dem sie unmöglich rechnen konnte. Doch nachdem der verheerende Dominion-Krieg vorbei war, konnte die ausgeblutete Sternenflotte qualifiziertes Personal gut gebrauchen. So ergab es sich, dass Ro eine weitere Chance eröffnet wurde – ausgerechnet als Offizierin des Sternenflotten-Geheimdienstes. Die intensiven Kenntnisse partisanenhaft-terroristisch agierender Organisationen, die Hintergründe ihres taktischen Trainings sowie die Zeit an Bord der Enterprise wiesen Ro als kompetente und einfallsreiche Frau aus, die außerhalb gängiger Schemata operieren konnte. Diese Qualitäten wollte sich nun der Geheimdienst zunutze machen, der in der Nachkriegsordnung gewiss mit einer Menge subversiver Elemente zu tun hatte. Dennoch dürfte es alles andere als leicht für Ro gewesen sein, sich wieder hochzuarbeiten. Der Maquis-Konflikt hatte die Sternenflotte einst enorm polarisiert; diejenigen Offiziere, die in die Reihen der Freiheitskämpfer übergelaufen waren, waren als Verräter angesehen worden, erst recht nach der Radikalisierung des Maquis (DS9 4×22; VOY 1×01; 1×02). In den folgenden Jahren gelang es Ro, bis in den Rang eines Commanders aufzusteigen, was ihre erfolgreiche Ermittlungsarbeit dokumentiert. Dabei kreuzten sich ab einem Zeitpunkt X ihre Wege immerhin mit einem ehemaligen Kollegen von der Enterprise, der ebenfalls eine neue Richtung im Leben einzuschlagen entschied. Die Rede ist von Captain Worf, welcher nach dem Ende seines Kommandos über die Enterprise-E seinerseits für den Geheimdienst tätig wurde (siehe Kapitel 8). Interessant ist, dass Picard im Jahr 2401 nichts von Ro Larens (zu diesem Zeitpunkt längst erfolgter) Rückkehr in den Dienst der Sternenflotte weiß. Das deutet darauf hin, dass sie in einer sehr klandestinen Abteilung tätig gewesen sein muss. Andererseits mag es sein, dass Picard vieles aus dem Blick verlor, seit er die Sternenflotte im Jahr 2385 verließ. Auch als er viele Jahre später wieder, nach den Geschehnissen von Season eins, eine Funktion in ihren Reihen übernimmt, ist er nicht länger im aktiven Dienst und hat insofern wohl keinen Zugang zu allen vitalen Informationen.

 

Warum entscheidet sich Ro, Picard aufzusuchen?

Ro kommt, unterstützt durch Worf (welcher von Odo dereinst vor einer abtrünnigen Wechselbälgerfraktion gewarnt wurde) und einige andere Geheimdienstakteure, im Laufe des Jahres 2401 einer gewaltigen Verschwörung auf die Schliche, die sich im Innern der Föderation vollzieht. Bei ihren Untersuchungen gelangt sie sukzessive zur Schlussfolgerung, dass die Sternenflotte bis in die Spitzen des Oberkommandos von Formwandlern unterwandert ist, die irgendwie neue Fähigkeiten erlangt haben müssen, um gängigen Detektionsmethoden wie Bluttests zu entgehen. Ro stellt fest, dass ihre Arbeit massiv behindert wird und Erkenntnisse über eine mögliche Infiltration immer wieder der Geheimhaltung unterstellt werden, was einen faktischen Maulkorb für sie bedeutet. Der immer stärkere Gegenwind und die latente Bedrohung, auf die sie stößt, bestärken sie in der Einsicht, niemandem mehr zu trauen. Nicht einmal den Transporter möchte sie noch benutzen, woraus sich rückschließen lässt, dass sie den Verdacht hegt, die Wechselbälger könnten bis zum Sternenflotten-Mainframe (Zentralrechner) vorgestoßen sein.

Es gab zwölf Vorfälle mit Wechselbälgern auf unterschiedlichen Schiffen, allesamt geheim gehalten. Ich ziehe Schlüsse aus Tatsachen. Bei meiner offiziellen Untersuchung bin ich nur auf Widerstände gestoßen. Ich kann lediglich auf zwei Geheimagenten zurückgreifen, denen ich voll vertraue.“ (Ro Laren in PIC 3×05)

Die wenigen Puzzlestücke, über die Ro aufgrund ihrer Investigationen verfügt, sind weit davon entfernt, ein ganzes Bild zu ergeben. Trotzdem stellt Ro die These auf, dass die Formwandler, von denen sie annimmt, dass sie sich in der Sternenflotte ausgebreitet haben, auf eine große Aktion am 250. Frontier Day hinarbeiten. Planen sie am historischen Jubiläumstag eine Art von massivem Terroranschlag? Hinzu kommt ein kürzlich erfolgter mysteriöser Einbruch in die Daystrom-Station, eine Top-Secret-Einrichtung der Sternenflotte. Ro fühlt sich schließlich mit dem Rücken zur Wand; ihre Optionen, der von ihr vermuteten Verschwörung habhaft zu werden und eine mögliche Katastrophe zu verhindern, schwinden immer weiter. Zuletzt wird ihr die Einsicht in die Planungen zum Frontier Day verweigert; selbiges gilt für ihr Ersuchen, Ermittlungen auf der Daystrom-Station zum unbekannten Raubzug anzustellen. Ro findet sich in einer Sackgasse wieder. Ihr Spielraum wird dramatisch enger, und es gibt Hinweise darauf, dass sie allmählich ins Fadenkreuz der Wechselbälger gerät, die sich ungehindert in den Strukturen des Militärs ausgebreitet haben. Daher beschließt sie, die Gelegenheit zu ergreifen und wieder Kontakt mit Picard herzustellen, den sie seit drei Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat. Auch wenn nach all der Zeit eine Menge zwischen ihr und dem pensionierten Admiral steht: Picard, so hofft sie, könnte ein wertvoller und gut vernetzter Verbündeter sein, um die Bedrohung durch den neuen Gründerstamm zu vereiteln, von der sie und Worf überzeugt sind.

Es kommt etwas auf uns zu, das weiß ich schon seit einer Weile. […] Sie planen wohl bereits einen weiteren Angriff. Und das Ziel könnte die Sternenflotte sein.“ (Worf in PIC 3×03)

Augenfällig sucht sie Picard demnach aus einem inhaltlich-strategischen Grund auf, aufgrund äußerer Not, die ja auch fast mit Händen zu greifen ist. Zweifellos erinnert sich Ro an das einstige Vertrauen zu Picard, dessen Problemlösungskompetenz und dessen Prinzipienkraft. Alles davon braucht sie in dieser Lage, trotz allem, was zwischen ihnen vorgefallen ist.

 

Wie geht Ro vor, um Picard als Verbündeten zu gewinnen und ihre Arbeit dadurch weiterzuführen?

Ro kommt als Inquisitorin an Bord der Titan. Ihr Vorgehen weckt zunächst gewisse Erinnerungen an Luther Sloan, der 2374 unter falscher Identität nach DS9 kam, um die Führungscrew wegen eines angeblichen Sicherheitslecks zu durchleuchten, es tatsächlich aber auf ein Screening und eine mögliche Rekrutierung von Dr. Julian Bashir für Sektion 31 abgesehen hatte (DS9 6×18). Als sie mit der Intrepid eintrifft, überzieht sie die Titan (die gerade dem sicheren Untergang und einem ausgedehnten Kampf gegen die Shrike im Ryton-System entkommen ist) mit einem Ermittlungsverfahren, das der umfassenden Sicherheitsüberprüfung dient. Sie teilt Captain Shaw mit, dass sie eine offizielle Untersuchung wegen des Verdachts auf Hochverrat durchführen werde. Worauf dieser Verdacht gründet, bleibt Verschlusssache. Im Zuge dessen werde ein Großteil der Crewmitglieder auf die Intrepid gebracht, ein jedes einzeln verhört und ihnen neue Aufgaben zugeteilt. Shaws Mannschaft wird also faktisch – kaum ist sie nach dem Refit ihres Schiffes wieder losgezogen – in weiten Teilen aufgelöst. So schockierend dieses Vorgehen für Shaw, Picard und die übrige Besatzung anmuten mag – Ros Vorgehen entspricht einem wohlorchestrierten Plan, der mehreren Zielen Rechnung trägt:

  • Sie möchte an Picard herankommen, aber um sich ihm anzuvertrauen, muss sie erst einmal die Möglichkeit ausräumen, er könnte ein Formwandler sein. Nachweise, dass die Titan infiltriert wurde, gibt es, und selbst nach dem Auffliegen der inzwischen neutralisierten Wechselbälger (PIC 3×04) kann es sein, dass sich weitere Eindringlinge unbemerkt an Bord befinden. Ro war ohnehin sehr vorsichtig, aber sie ist nach der Nachricht von Shaw an die Admiralität (in der er über die Ereignisse im Ryton-System berichtet hat) noch mehr auf der Hut, wem sie trauen kann. So hat Shaw tatsachengemäß weitergeleitet, dass Picard unter Vortäuschung einer offiziellen Inspektion mit Captain Riker an Bord der Titan kam, um letztlich mit ihm ein Shuttle zu entwenden (PIC 3×01); dies macht Ro verständlicherweise stutzig. Sie wird Picard im Zwiegespräch mit seiner Tat konfrontieren und ihm auf den Zahn fühlen. Beide begegnen sich zunächst mit Misstrauen.
  • Hinzu kommt, dass Ro vor dem Oberkommando ein gutes Alibi braucht, um auf die Titan zu gehen. Die von ihr gewählte Strategie erlaubt es ihr, ihre Autorität als einflussreiche Geheimdienstlerin zumindest für einen begrenzten Zeitraum auszuspielen – sie kommt angeblich an Bord, um Ermittlungen wegen Hochverrats anzustellen. Allerdings verhört sie entgegen dieser offiziellen Ankündigungen außer Picard niemanden. Sie behauptet zwar, die Überreste des Wechselbalgs sehen zu wollen, tut dies dann aber nicht, sondern zieht sich mit Picard zurück. Immerhin weiß sie ja bereits, dass die Wechselbälgerverschwörung real ist.
  • Gleichzeitig muss Ro, falls Picard er selbst ist (was sich schließlich erhärtet), möglichst rasch und effektiv die Voraussetzungen dafür schaffen, dass er nicht von der Intrepid festgesetzt wird, wo sie ebenfalls Formwandler vermutet. Picard soll mit der Titan die Flucht ergreifen, um dann die Ermittlungen in ihrem Sinne fortzusetzen (erste Anlaufstelle ist die Daystrom-Station). Sie muss entsprechend die Weichen stellen, dass sich möglichst kein Wechselbalg mehr auf der Titan befindet. Auch dazu dient die gewählte Strategie, wegen Hochverrats Ermittlungen anzustellen, weil sie ihre exklusiven Durchgriffsrechte nutzen kann. Kurz bevor sie von Bord geht, lässt sie Picard wissen: „Ich habe den Großteil der Crew auf die Intrepid verlegt. Ihnen bleibt eine Rumpfmannschaft. Jean-Luc, Sie müssen dieses Schiff nehmen und fliehen.“ (PIC 3×05)

Ro muss bei ihrem Einsatz auf der Titan also vieles gleichzeitig leisten, in verschiedene Richtungen. Und dann gibt es noch die persönliche Ebene, die natürlich eine ganz eigene Herausforderung für sie darstellt. Wahrscheinlich auch weil sie ahnt, dass es einen Bedarf nach Aussprache gibt, geht sie mit Picard aufs Holodeck; dort glaubt sie, am ehesten ungestört und unbemerkt zu sein. Vor Ort angelangt, kommt es dann zum Clash zwischen beiden, der ausgesprochen emotional verläuft. Zugleich offenbaren sie eine Menge persönlicher Kenntnisse übereinander, sodass Ro ebenso wie Picard Sicherheit gewinnen, dass sie die sind, die sie behaupten zu sein. Als Ro zuletzt ihre Waffe senkt, legt er sofort auch die seine nieder. Seine Wut scheint schlagartig verpufft. „Tja, wenn dieser Schmerz etwas beweist, dann dass wir sind, wer wir wirklich sind.“, stellt er leicht melancholisch fest. Daraufhin fragt ihn Ro, ob er ihr vertraue, und er bejaht dies überraschend eindringlich. Ro hat ihren anvisierten Etappenerfolg erreicht. Sie eröffnet ihm die Hintergründe ihrer Ermittlungen rund um eine Bedrohung durch abtrünnige Gründer, die immer größere Kreise gezogen hat.

Ich glaube, dass Wechselbälger sämtliche Hierarchieebenen der Sternenflotte infiltriert haben, einschließlich der Schlüsselposten. […] Es kommt flottenweit zu Störungen, seit Monaten. […] Was wissen Sie über die Planungen zum Tag der Grenze? […] Die Sicherheitsmaßnahmen unterliegen der Geheimhaltung. Nicht einmal ich habe Einsicht. […] Zudem haben Wechselbalgterroristen vor einigen Tagen ein Rekrutierungszentrum von uns zerstört – mit einer Portalwaffe. […] Wir haben Beweise gefunden, dass die entwendete Portalwaffe mit etwas anderem in Verbindung steht, das die Wechselbälger wollen. Sie sind ganz in der Nähe.“ (Ro Laren in PIC 3×05)

Dennoch läuft Ros Zeit unerbittlich ab. Sie wird die Kontaktaufnahme mit Picard mit ihrem Leben bezahlen, doch sie kann ihm alles geben, damit er in ihrem Namen weitermachen kann – zusammen mit ihren Verbündeten. Die Titan kann entkommen, und Picard ist im Besitz all ihrer Ermittlungsakten, die sie heimlich auf ihrem Ohrring untergebracht hat, welcher sich als getarnter Datenspeicher entpuppt. Dieser ermöglicht Picard und Riker in der Folge auch die Kontaktaufnahme mit Worf und Raffaela Musiker.

 

Weiß Ro, was es mit Jack Crusher auf sich hat?

Reden wir über Ihren Sohn. […] Er steht jetzt im Mittepunkt der Untersuchung.“ (Ro Laren in PIC 3×05)

Während der Befragung von Picard wirft Ro Laren relativ schnell den Namen Jack Crusher auf. Ro möchte von Picard wissen, in welchem Verhältnis sein Sohn zu ihm steht. Dies weckt verständlicherweise Picards Argwohn, denn auch Vadic hat die Titan tagelang erbarmungslos gejagt, um Jack in die Finger zu bekommen. Es erschließt sich Picard nicht, inwieweit Jack – selbst kein Offizier der Sternenflotte – überhaupt relevant für ihre vermeintlichen Ermittlungen wegen Hochverrats sein soll. Als Picard von Beverly Crusher obendrein informiert wird, dass die neuen Formwandler, mit denen sie konfrontiert sind, nun auch den Bluttest bestehen können, befürchtet Picard, bei Ro könnte es sich um eine Doppelgängerin handeln. Dies entpuppt sich jedoch glücklicherweise als nicht zutreffend – er hat es mit der echten Ro Laren zu tun.

Nun stellt sich die Frage, wie viel Ro über Jack herausgefunden hat. Höchstwahrscheinlich nicht allzu viel, aber ihr ist seit geraumer Zeit sehr bewusst, dass der junge Mann aus irgendeinem Grund für die Wechselbälger, die die Raumflotte unterwandert haben, von zentralem Interesse ist. Daher erhofft sie sich von Picard mehr Hintergründe über ihn, die er ihr allerdings nicht geben kann, da er selbst Jack erst seit wenigen Tagen kennt. Später informiert Ro Picard, in Geheimdienstkreisen kursiere die Order, Jack zu finden und ihn festzunehmen – was sie auf Anweisungen von Wechselbälgern in der Gestalt von Admirälen zurückführt. Es ist gut möglich, dass Ro aufgrund ihrer geheimen Ermittlungen vor Picard wusste, dass er einen leiblichen Sohn hat und dieser seit geraumer Zeit verfolgt wird (denn Jack und seine Mutter haben zum Zeitpunkt von Ros und Picards Wiederbegegnung schon eine regelrechte Fluchtodyssee vor Vadics Schergen hinter sich). Auch wenn sich Ro die Gründe entziehen, aufgrund derer Jack für die Wechselbälger von Bedeutung ist – vielleicht argwöhnt sie, bei ihm könnte es sich um eine Art Schläfer handeln oder jemanden mit besonderen Fähigkeiten –, ist anzunehmen, dass sie dieser Sache weiter auf den Grund gehen möchte. Sie scheint vage zu ahnen, der junge Mann könnte der Schlüssel zu einer noch größeren Bedrohung sein. Doch dafür ist es von Bedeutung, Picard und der Titan die Flucht zu ermöglichen und Vadic den Zugriff auf Jack vorerst weiter zu entziehen.

 

Wie reagiert Picard auf Ro?

Bei der Begegnung mit Ro vermischen sich zunächst mindestens zwei Ebenen, die abwechselnd einander überlagern. Zum einen ist Picards Misstrauen sofort geweckt, denn er hat seit Dekaden nichts mehr von der Bajoranerin gehört und wusste nicht, dass sie wieder im Dienst der Sternenflotte steht. Vor dem Hintergrund von Vadics Hatz nach der Titan und der schockierenden Wechselbälgeroffenbarung könnte der aufgrund der zurückliegenden Ereignisse ohnehin aufgewühlte Picard sich also tatsächlich einem feindlichen Agenten gegenübersehen. So stellt er Ro mit versteinerter Miene die Frage: „Wie kann eine Verräterin sich als Commander der Sternenflotte ausgeben?“ Daraufhin entgegnet diese viel wissend: „Sie glauben, ich bin nicht ich. Ja, Captain Shaw hat erwähnt, dass Sie einen Wechselbalg an Bord hatten.“ Wenig später wird Picard auffallen, dass Ro ihren bajoranischen Ohrring nicht mehr trägt, was ein weiteres Indiz sein könnte, dass er es mit einem Duplikat von Ro zu tun hat. Spitz fügt er hinzu: „Oder waren Sie sich treu und haben auch den Bajoranern den Rücken gekehrt?“

Zweifellos testet Picard Ro und ihre Reaktionen, aber es sind echte Gefühle im Spiel. An der Stelle, an der er ihr die Frage nach dem Ohrring stellt, wird deutlich, wie die Ebene seiner Unsicherheit, einer potenziellen Bedrohung durch Formwandler ausgesetzt zu sein, von einer zweiten Ebene konterkariert wird. Auf dieser Ebene nimmt Picard an, dass er sehr wohl die echte Ro vor sich hat – und reagiert auf die für ihn vollkommen unvermittelte Konfrontation mit ihr. Letztlich wird die zweite – zutiefst persönliche – Ebene, je mehr Zeit er mit Ro verbringt, immer stärker werden, bis sie einzig übrigbleibt, weil ihm klar wird, dass die Bajoranerin ist, wer sie vorgibt zu sein. Diesem zwischenmenschlichen Verhältnis wollen wir uns im Folgenden aus Picards Perspektive zuwenden. Erinnern wir uns: Picard nahm damals, am Ende der betreffenden TNG-Episode, Ros Wechsel zum Maquis mit steinerner Miene auf. Diesen Gesichtsausdruck trägt er auch 31 Jahre später noch immer im Gesicht. Ihr Wiedererscheinen wühlt ihn also auf, denn in all der Zeit hat er ihren vermeintlichen Verrat erkennbar nicht verwunden, sondern höchstens verdrängt. Ros Verlust ist eine offene Wunde für ihn geblieben. Doch in PICARD werden wir Zeuge, wie sich nun offene Verbitterung und sogar Verachtung in seine Miene und Worte mischt. Sehen wir uns hierzu zunächst das Gespräch mit Riker an, bevor Ro beide in der Beobachtungslounge der Titan aufsuchen wird.

Wie hat es Ro Laren zurück in die Sternenflotte geschafft? Sie gehört ins Gefängnis!“„Das war vor 30 Jahren. Der Maquis ist keine Bedrohung mehr.“„Sie sollte die Föderation vor den Terroristen beschützen und nicht zu denen überlaufen. […]“„Ro war immer eine Außenseiterin. Als Sie sie auf den Maquis angesetzt haben, wussten Sie, dass sie mit den Leuten mitfühlen könnte.“„Mitgefühl ist eine Sache, den Vorgesetzten zu verraten, eine andere.“„Sie waren ihr Mentor, haben ihr als einziger vertraut. Zwischen Ihnen war ein Band.“ „Das sie durchtrennt hat!“ (Jean-Luc Picard und William Riker in PIC 3×05)

Der Dialog mit Riker lässt einige bemerkenswerte Dinge erkennen:

  • Picard ist geradezu unerbittlich ablehnend gegenüber Ro eingestellt.
  • Er bezeichnet den Maquis pauschal als „Feind“ und „Terroristen“, was zumindest einer eigenwilligen Interpretation der Geschichte entspricht.
  • Picard wirft Ro vor, sie hätte das „Band“ zwischen ihnen durchtrennt, im Hinblick auf ihr Dienstverhältnis als Captain und Untergebener auf der Enterprise wie auch in persönlicher Hinsicht.
  • Er sieht daher die Ursache für ihren damaligen Weggang ausschließlich bei ihr.
  • Bereits hier wird ersichtlich, dass Picard Ros Entscheidung als verabscheuungswürdig und moralisch falsch verurteilt. Er spricht von „Verrat“. Dass Picard es sich möglicherweise etwas leicht macht, indem er so kategorisch über Ro urteilt, versucht Riker zu verdeutlichen. Dieser erinnert Picard daran, dass Ro damals von der Sternenflotte auf eine Mission geschickt wurde, die sie in einen potenziellen inneren Konflikt stürzte. Bei Riker deutet sich also ein gewisses Verständnis dafür an, dass sie letztlich zum Maquis übergelaufen ist. Doch Picard will hiervon nichts wissen. Er erklärt Ro in rückwärtiger Betrachtung zu einer Frau, die ihre Sternenflotten-Karriere aufgrund einer verwerflichen Entscheidung beendete. Ros Schuld ist in seinen Augen unabwaschbar, denn wenn es nach ihm geht, müsste Ro auch heute – Dekaden später (!) – noch im Gefängnis sitzen.

Später, als Ro zu ihm kommt, hält Picard ihr mit erfrorener Miene vor: „Wieso wird ein Lieutenant, der seinen kommandierenden Offizier und die Sternenflotte verraten hat, wieder eingesetzt? Wie ist es Ihnen gelungen, sich zurück in die Sternenflotte zu schummeln?“ Daraus geht hervor, dass sie es aus seiner Sicht nicht verdient hat, jemals wieder Teil der Sternenflotte zu sein und dieser Schritt nur durch Betrug und Unrechtmäßigkeit erfolgt sein kann. Im Lichte von Ros damaliger Entscheidung, überzulaufen, billigt Picard ihr also keine legitime Rückkehr in die Raumflotte zu. Zudem bringt er – wie auch schon vor Riker – zum Ausdruck, dass Ro nicht lediglich die Institution Sternenflotte verraten hat, sondern auch ihn persönlich als ihr Captain. Er argumentiert immer wieder mit ihrer Pflichtverletzung gegenüber ihrem Diensteid, womit sie sich grundlegend diskreditiert habe. Dem nicht genug: Picard wirft ihr, auffallend jähzornig, vor, sie habe mit ihrem Entschluss, zum Maquis überzulaufen, schlichtweg ihre „Ehre“ verraten. Dies kommt einem Verdammungsurteil gleich, aber Ro reagiert gefasst, kontrolliert, souverän darauf, auch wenn erkennbar wird, dass ihr Picards Anschuldigungen nahe gehen. Meine Ehre oder meinen Sie die der Flotte? Blindes Vertrauen – egal in welche Institution – macht niemand ehrenwert.“ Später auf dem Holodeck erneuert sie diese Position:

Sie stellen meine Ehre in Frage? Ich bin zum Maquis übergelaufen, um einem gerechten Zweck zu dienen, selbst wenn es einen Verrat an Ihrer geliebten Sternenflotte bedeutet hat. So war ich einfach. Aber das haben Sie nie verstanden, weil Sie Pflichtbewusstsein mit Moral verwechseln. Und das, Admiral, lässt Sie ehrlos dastehen.“ (Ro Laren in PIC 3×05)

Picard wirkt mit einem Mal wie ertappt, denn seinen Vorwurf der Ehrverletzung hat sie mit einem Argument entkräftet, das ihm eigentlich bekannt sein dürfte. Wie oft hat er sich von aus seiner Sicht gerechten Zwecken leiten lassen, auch wenn das bedeutete, in einen Konflikt mit der Sternenflotte treten zu müssen? Wir beobachten, wie Picard endgültig persönlich wird. Er insistiert, Ro und er hätten eine besondere, auf Respekt und Vertrauen begründete „Verbindung“ gehabt. Er habe an sie „geglaubt“, doch sie habe ihm „das Herz gebrochen“. Ro tut es ihm gleich, wenn sie entgegnet: „Und Sie mir das meine. […] Hätte ich Ihnen so viel bedeutet, hätten Sie es verstanden.“ Dies kann nur auf sein Verhalten im Hier und Heute bezogen sein, denn seit jenem denkwürdigen Tag im Jahr 2370 haben sie einander nie wieder zu Gesicht bekommen. Ro fühlt sich von Picard zutiefst ungerecht behandelt und verletzt.

 

Nach 30 Jahren steht so einiges zwischen Picard und Ro. © 2020-23 CBS Studios Inc. All Rights Reserved.

 

Inwiefern passt Picards Reaktion zur TNG-Episode?

Vor allem der intensive Schlagabtausch von Ro und Picard auf dem Holodeck birgt eine Menge Sprengstoff. Man kann kontrovers darüber diskutieren, wie gut Picards Auftreten zur letzten TNG-Episode mit der Bajoranerin passt. Sicherlich gibt es auf den ersten Blick nachvollziehbare Gründe, warum er hart mit Ro ins Gericht geht:

  • Als er Ro in TNG 5×03 ihre berühmt-berüchtigte zweite Chance gab, hat Picard ihr klar gemacht, dass sie nun Teil einer Militärhierarchie sein würde und damit auch die Befehlsordnung würde einhalten müssen. Diese Art von Disziplinierung spielte eine wichtige Rolle bei der Rehabilitierung der rebellischen Ro, die von ihrer Gesinnung her ‚chaotisch gut‘ sein mochte, aber aufgrund ihres instinkthaften Lebenswandels so gut wie keine Struktur und Kontinuität besaß.
  • Zudem hat Picard sich und diejenigen unter seinem Kommando stets an hohen Standards gemessen; Pflichterfüllung spielte dabei eine nicht unerhebliche Rolle. In vielen Episoden sahen wir, wie Picard versuchte, zwischen seinen Befehlen und seinen eigenen moralischen Prinzipien zu navigieren, ohne eines von beiden fundamental zu verletzen. Diesem Anspruch ist Ro nicht gerecht geworden. Ro weist ihn darauf hin, wie schwierig es für sie war, allenthalben an Erwartungen gemessen zu werden, wie Picard sie als Captain des Flaggschiffes anlegte: „Sie haben keine Ahnung, wie es war, ständig von Ihnen beurteilt zu werden. Sie wollten mich zu einem Abbild Ihrer selbst machen. Haben Ihre Unterstützung und Zuneigung an Bedingungen geknüpft.“
  • Dass Ro letztlich beim Maquis blieb und für ihn zu kämpfen bereit war, ließ Picard vor einem Scherbenhaufen seiner gesamten Arbeit als Mentor stehen. Trotz aller Mühe und des Vertrauensverhältnisses, das er in Ro investierte, verlor er sie in totaler Weise. Auch wenn die schwere Insubordination einer seiner Führungsoffiziere keine Folgen für seine eigene Karriere hatte, müssen Schmerz und Enttäuschung enorm gewesen sein. Am Ende von Die Rückkehr von Ro Laren haben wir nie erfahren, wie Picard wirklich über Ros Abgang dachte. Aber als er allein in seinem Bereitschaftsraum zurückblieb, vermittelte sein Blick eine Mischung aus Schock, Niedergeschlagenheit, Wut und Ohnmacht.

Gerade wenn wir annehmen, dass Picard für sich und andere immer einen hohen Maßstab angelegt hat, ließe sich seine sture Reaktion auf Ro ein Stück weit erklären. Folgsamkeit ist immerhin ein zentraler Kern von Führung, und als Captain schon mal eine Regel zu biegen ist vermutlich etwas anderes als Führungsoffiziere unter sich zu haben, die einem die Gefolgschaft in einer politisch heiklen Situation brutalstmöglich verweigern – ja, Fahnenflucht begehen. Im Kern seines Herzens konnte er nicht anders als Ros Verhalten als Verrat zu bewerten, weil sie nun einmal beide nicht in einem Verhältnis als Privatleute zueinander standen, sondern als Offiziere, die einem Eid verpflichtet waren, der Picard immer sehr viel bedeutete. Allerdings überwiegen in meinen Augen eindeutig die Zweifel an der Richtigkeit seines Verhaltens, und das aus gleich mehreren schwerwiegenden Gründen:

  • Seit Ros Seitenwechsel sind sage und schreibe 31 Jahre vergangen, in denen in der Galaxis eine Menge passiert ist. Picards seit 2370 nahezu ungebrochener Zorn erscheint enorm übertrieben, zumal er in TNG nie als nachtragender Charakter gezeichnet wurde; vielmehr war er ein Profi, der Situationen annehmen konnte, auch wenn sie ihm nicht gefallen mochten. Der Umstand, dass er Ro dereinst einen Neustart ermöglichte, indem er sie in seine Mannschaft holte, zeigt ja, dass Picard in der Lage ist, über Fehler und Missverständnisse in der Vergangenheit hinwegzusehen.
  • Picard ist uns in TNG als Captain präsentiert worden, der nicht loyal gegenüber der Sternenflotte war, weil das für ihn einen Selbstzweck darstellte oder er dieser Institution blind folgte, sondern weil er von den dahinter stehenden Idealen überzeugt war. Picard wollte immer das Richtige und unter humanistischen Gesichtspunkten Erforderliche tun; dies ging ihm über alles (im Extremfall auch schon mal über die Befehlshierarchie). Dass er hier so unnachgiebig gegenüber Ro agiert, ist gerade angesichts des unter Moralgesichtspunkten so komplexen Maquis-Themas schwer nachvollziehbar, auch weil er die Widerstandsorganisation rückwärtig nach dem Holzschnittverfahren neu interpretiert. Wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass sich die Cardassianer von vorneherein nicht an ihre Zusicherungen hielten, die Anwesenheit der Föderationssiedler in der Entmilitarisierten Zone (EMZ) zu akzeptieren; sie übten Terror, umgingen das allgemeine Waffenembargo (DS9 2×20; 2×21) und führten wenige Jahre später gemeinsam mit dem Dominion regelrechte Massaker an Widerstandskämpfern und Zivilisten durch. Auch Picard sollte also nicht entgangen sein, dass der Maquis – trotz dessen teils fragwürdiger Radikalisierung – mit seiner Einschätzung der Cardassianer am Ende mehr Recht als Unrecht hatte. Überdies hatte Picard damals bereits erkannt, dass die Föderation einen höchst problematischen Friedensvertrag mit Cardassia ausgehandelt hatte, der eher auf kühlem Utilitarismus basierte als auf klaren Grundsätzen und Werten (TNG 7×20). Nicht umsonst tolerierte die Föderation im Namen dieses fragwürdigen Friedens lange Zeit den Terror des cardassianischen Militärs gegen die eigenen Bürger. Das Wording ‚Sie sind zum Feind übergelaufen‘ ist also ebenso unreflektiert wie deplatziert, und den Maquis pauschal als „Terroristen“ zu bezeichnen, wird der historischen Realität und auch dem Versagen der Föderationspolitik nicht gerecht.
  • Natürlich beging Ro Verrat im Sinne des Wortes, aber Picard sollte stärker reflektieren, ob sie mit der Abordnung zu ihrer Undercovermission nicht erst in eine Situation gebracht worden war – von der Sternenflotte wie auch ihm selbst –, in der sie gar nicht anders konnte als aus Gründen ihrer persönlichen Moral überzulaufen. Insbesondere die Frage, ob Ro aufgrund ihrer eigenen Lebenserfahrung (Kindheitstrauma) empfänglich für das war, was sie in den Reihen des Maquis vorfand, scheint er sich nicht wirklich zu stellen. Ich sehe hier v.a. zwei Punkte: Einerseits sprang sofort Ros Schutzreflex an, als sie den Überlebenskampf der Siedler in der EMZ sah, die als kleine Minderheit cardassianischer Willkür und Brutalität ausgesetzt waren. Andererseits stieß sie beim Maquis auf etwas, das Picard und die kühl-hierarchische Sternenflotte ihr nie geben konnten: eine Ersatzfamilie. Sie sagte selbst in TNG 7×24, dass der alte Mann Macias sie an ihren von den Cardassianern zu Tode gefolterten Vater erinnere. Als Macias später in Ros Armen starb, rang er ihr ein Versprechen ab, das sie zusätzlich zu ihrem Wunsch nach einem familiären Umfeld auch in eine Loyalitätszwickmühle brachte.
  • Ro hat sich nie der Institution Sternenflotte sonderlich verpflichtet gefühlt; ihre Loyalität bezog sich auf Picard persönlich, der sich ihr als Mentor angenommen hatte. Womöglich hatte Picard nicht richtig begriffen oder verdrängt, in welcher Weise sie ihren Dienst betrachtete und dass es ihr daher nicht schwerfiel, sich von der Sternenflotte abzukehren. Dies gilt zumal, weil Picard in TNG 7×24 sie immer stärker drängte, ihre Mission zu Ende zu führen. Picard hat sich offenbar nie in Ro hineinversetzt und gefragt, wie schwer es ihr gefallen sein muss, sein Vertrauen zu verletzen. Bei ihrer Verabschiedung in PIC 3×05 gibt Ro Picard dann auch mit: „All die Jahre habe ich mir gewünscht, dass wir beide uns richtig gekannt hätten – als die, die wir sind.“ Dies kann man so deuten, dass Ro Picard gerne in ihrem Leben gehabt hätte, es jedoch so empfand, dass die Sternenflotte zwischen ihnen stand, weshalb es unmöglich für sie gewesen war, ihn als väterlichen Mentor zu behalten. Am Ausdruck in seinem Gesicht sehen wir, dass Picard diese persönliche Eröffnung zu bewegen scheint.

Inwieweit man als Zuschauer Picards Auftreten Ro gegenüber als konsequent oder angemessen erachtet, hängt stark davon ab, wie man Die Rückkehr von Ro Laren verstanden und das Ende der Folge gedeutet hat. Man kann zum Schluss kommen, dass Picard bezüglich seiner Sicht auf Ro in TNG schon weiter war. Ihm war durchaus klar, warum sie ihn verriet, ja warum sie ihn verraten musste. Er hatte damals den Druck der Sternenflotte an sie weitergegeben, und dies hatte zu einem unausweichlichen Ergebnis geführt. So würde ich Picards Gesichtsausdruck in der TNG-Folge nicht als Zorn deuten, sondern als tief empfundene Frustration und Traurigkeit, die zu Ro Larens Weggang führte. In Wechselbälger tritt er hingegen auf, als wäre er über alle Zweifel erhaben und wälzt sämtliches Fehlverhalten einzig und allein auf Ro ab. Ro wirft Picard mit einiger Berechtigung vor, er würde Moral mit Pflicht gleichsetzen und die Sternenflotte in diesem Kontext idealisieren. Wie sehr Picards Vorwürfe ins Leere laufen, belegt eine Reihe von Missionen, in denen er sich an seinem eigenen Wertegerüst orientiert und der Admiralität die Stirn geboten hat. Nach allem, was in seiner eigenen Karriere passiert ist, kann Picard nicht ernsthaft meinen, dass der Dienst an der Sternenflotte per se Ehre ist, denn er machte hier ja selbst ambivalente Erfahrungen. Daher kann man zur Interpretation kommen, dass sich in Wahrheit etwas ganz anderes hinter Picards Reaktion auf Ro im Jahr 2401 verbirgt.

 

Was ist die wahre Ursache für Picards Vorwurf?

Gehen wir diesem Gedanken weiter nach. Wenn Picards harsche Anschuldigungen Ro gegenüber von vorneherein eine Verzerrung der Tatsachen und seiner persönlichen Erfahrungen darstellen, wieso bringt er sie trotzdem so vehement vor? Wieso hat er sich in Bezug auf Ro derart verhärtet? Ich denke, weil sie, die sie plötzlich vor ihm steht wie ein Geist aus der Vergangenheit, eine Art Triggerpunkt für ihn darstellt. Ros Präsenz mag ihn daran erinnern, dass er einst selbst aus Idealismus und Gerechtigkeitsempfinden agierte, und letztlich führte ihn eben jener Idealismus – gegen seinen Willen – aus der Sternenflotte heraus, als er alles auf eine Karte setzte, um die Rettungsmission im romulanischen Raum irgendwie aufrechtzuerhalten (Roman I; PIC 1×03). Picard musste zusehen, wie alles, was er jahrelang mühsam aufbaute, um eine Maschinerie zu schaffen, die bis zu eine Milliarde Romulaner von ihren Welten evakuieren konnte, einfach zusammenbrach. Wie Föderation und Sternenflotte in einer Mischung aus Angst, selbstbezüglichem Isolationismus und Vorurteil sich aus ihrer Verantwortung zurückzogen und den Tod unzähliger unschuldiger Lebewesen in Kauf nahmen. Daher ist Ro mit ihrem Schicksal eine unliebsame Erinnerung an all das, was er selbst durchleben musste: seinen langen Fall und sein Bruch mit der Sternenflotte; seine fundamentalen Enttäuschungen; seine tiefen und bis zu seinem Lebensende bleibenden Verletzungen, die nicht zuletzt sein Selbstbild schwer geschädigt haben. Dies ist das Trauma des alten Picard. In einem Interview mit einer Journalistin im Jahr 2399 sollte er zum ersten Mal verbittert einräumen, dass er nicht mehr einer Institution angehören konnte, die „nicht mehr die Sternenflotte warund die sich „schlicht und ergreifend kriminell“ verhalten habe, als sie die Rettungsmission abbrach (PIC 1×01). Wir können das, was mutmaßlich unterbewusst in Picard vorgeht, als er Ro wieder sieht, weiter zuspitzen. Picards Vorwürfe sind in meinen Augen nichts als Fassade, mit der er Selbstschutz betreiben will. Ro traf damals eine durchaus mutige und verwegene Entscheidung, der Sternenflotte den Rücken zu kehren – und es setzte, trotz allem, was sie verlor, neue Kräfte in ihr frei. Doch Picard hatte nach der Abwendung von der Raumflotte keinerlei Kraft mehr. In gewisser Weise ließ auch er die Leben, die später vernichtet wurden, durch seine Resignation im Stich. (Und hier ist Picard am Ende doch loyaler Offizier, der alles stehen und liegen lässt, sobald er die Uniform nicht mehr trägt.) Ros Pflichtbewusstsein hingegen reichte weit über ihren Dienst hinaus und trug sie jahrelang beim Maquis weiter. Ro war die Starke, Picard war der Schwache. Die Bajoranerin ist eine Art Spiegel für den alten Picard, und was er sieht, lässt ihn schaudern. Nicht umsonst reagiert er mit derart starken Gefühlsausbrüchen.

Ich glaube also, dass Picard in seinen fortgeschrittenen Jahren instinktiv die Ereignisse von damals umgedeutet hat. Indem er Ro zur Nestbeschmutzerin erklärt und sie mit Verdammungsurteilen überzieht, muss er sich mit seinem eigenen Verhältnis zu Begriffen wie ‚Pflicht‘ und ‚Moral‘, seinem eigenen Ausstieg aus dem Dienst und allen damit verbundenen Konsequenzen nicht beschäftigen. Sie zu sehen, bedeutet, seine eigene Schuld sehen zu müssen, seine Schwäche und sein Versagen. Wir dürfen nicht vergessen: Der moderne Picard ist ein gefallener und gebrochener Held, dem sein eigener Kompass ein gehöriges Stück abhandenkam; der lange Zeit überhaupt nicht mehr wusste, wer er ist und wofür er steht. Er war derjenige, der der Sternenflotte so lange die Treue hielt und dafür letztlich bestraft wurde. Ro hing nie daran und folgte doch mit unbändiger Kraft ihrem eigenen Sinn für Gerechtigkeit. Ro repräsentiert das, was Picard wohl gerne gewesen wäre, aber nicht sein konnte, als er sich geschlagen auf das Weingut seiner Familie zurückzog. Für mich zeigen die Szenen mit Ro Laren daher: Vergangenheit ist niemals etwas Feststehendes, sondern das, was wir vor dem Hintergrund eines komplexen Erfahrungskontextes daraus machen. Wir erinnern selektiv, wir verklären, mitunter verfälschen wir auch, wenn es unserem Selbstwert dient.

 

Ros heroisches Opfer setzt bei Picard einen Erkenntnisprozess in Gang. © 2020-23 CBS Studios Inc. All Rights Reserved.

 

Wie hat die Aussprache mit Ro Picard verändert?

Am Ende ihrer Wiederbegegnung wendet sich Ro an Picard. Mit Tränen des aufrichtigen Bedauerns in den Augen sagt sie ihm: „Ich wünschte, dass Sie nur einmal in mich hineinsehen und mich verstehen könnten. Ich habe stets nur nach bestem Gewissen gehandelt.“ Kaum haben sie einander gefunden und sich ansatzweise ausgesprochen, überrollen die Ereignisse Picard und die Titan. Auf dem Rückflug zur Intrepid entpuppen sich Ros Sicherheitsleute als feindliche Agenten, die eine Bombe an Bord ihres Shuttles platzieren und sich zurück zur Titan beamen – Ro und ihre Absichten sind endgültig aufgeflogen. Nicht in der Lage, die Bombe zu entschärfen oder sich selbst von Bord beamen zu lassen, entscheidet Ro, das Shuttle in eine Warpgondel der infiltrierten Intrepid zu steuern. Dadurch verschafft sie der Titan die einzige kurzfristige Möglichkeit, zu entkommen, auf dass Picard ihre Arbeit fortsetzen kann. Ehe sie mit dem Shuttle an der Warpgondel zerschellt, lässt Ro Picard wissen, dass sie sich nun bei ihm mit etwas revanchiere, was er ihr vor all den Jahren gegeben habe: „eine faire Chance (im Englischen ist es noch eindringlicher: „a fighting chance“). Picard möchte die gerade erst wiedergewonnene Bajoranerin nicht gehen lassen. Er beteuert, sie zu sehen und ihre Entscheidungen zu verstehen. Er bittet sie um Vergebung für „die späte Einsicht“. Ro nimmt dies noch mit, bevor die Verbindung zum Shuttle abbricht und dieses explodiert.

Wie viel sie Picard bedeutet hat, wird an seiner Reaktion infolge ihres Todes deutlich. Als er der Detonation beiwohnen muss, wirkt er, als wäre er kurz vor einem physischen und seelischen Zusammenbruch. Spätestens diese Szene belegt meines Erachtens, dass Picards Verurteilung der Bajoranerin niemals im Kern seines Herzens gewesen sein kann. Wäre es so gewesen, hätte er ihr nie so schnell wieder vollends vertraut und seine Rage abgelegt. Auch wenn ihnen nur wenig Zeit blieb, hat Ro Spuren hinterlassen. Sie hat Picard aus seiner Komfortzone geholt, ihn dazu gebracht, sich in ihre Perspektive zu versetzen und nachzuvollziehen, warum sie in der damaligen Situation nicht darum herumkam, ihrem Gewissen zu folgen – ihrem Ehrgefühl – und sich dem Maquis anzuschließen. Ich glaube, dass Picard diese Einsicht am Ende der TNG-Folge hatte, doch er hat es eben aus Gründen, die mit seinem eigenen weiteren Lebensweg zusammenhingen, verdrängt. Die Ich-Narrative sind eben ständigen Schwankungen ausgesetzt, und dabei bestimmen Gegenwart und Zukunft, wie man auf das Gestern zurückblickt. Ro macht Picard so bewusst, dass sie womöglich genau nach jenem Kompass handelte, den er selbst einst hochhielt. Sie hat ihn zu keiner Zeit wirklich verraten. Ohne Frage steckt in der Beziehung Picard-Ro eine Menge Tragik. Beide Figuren, die gemeinsam noch so viel mehr hätten sein können, wurden aufgrund äußerer wie innerer Bedingungen buchstäblich auseinandergerissen. Nach drei Jahrzehnten blicken sie zurück und stellen fest, dass sie einander unabsichtlich verletzt haben und unter anderen Bedingungen vielleicht Seite an Seite durch das weitere Leben gegangen wären; sie drücken ihr tief empfundenes Bedauern darüber aus. Indem Ro sich auf diese letzte Geste eingelassen hat, hat sie Picard geholfen, Frieden auch mit sich selbst zu schließen. Jean-Luc Picard ist hier ganz fehlbarer, aber lernbereiter Held. Er wird Ro Laren stets in besonderer Erinnerung behalten.

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