Als Jean-Luc Picard nach längerer Zeit wieder mit William Riker auf dem Planeten Nepenthe zusammentrifft, fragt ihn dieser, wie seine neue Crew denn so sei. Picard zögert nur kurz und hat daraufhin eine ziemlich bezeichnende Antwort parat:
„Also, ich würde sagen, sie sind wild zusammengewürfelt. Seit wir den Orbit der Erde verlassen haben, war ununterbrochen Drama, und soweit ich weiß, hat sich das in den letzten Tagen nicht geändert. Sie schleppen deutlich mehr Probleme mit sich herum, als ich das von Ihnen früher gewohnt war. Aber ja, ich hab‘ gut reden.“ (Jean-Luc Picard in PIC 1×07)
Picards Erwiderung verrät vieles über jene Frauen und Männer, mit denen er an Bord der S.S. La Sirena aufgebrochen ist, um Datas Andenken zu bewahren und das neu geschaffene Androidenvolk auf dem Planeten Coppelius zu schützen. Auf den ersten Blick passen sie nämlich tatsächlich kaum zusammen, scheinen angesichts ihrer unterschiedlichen Hintergründe, Eigenarten und schweren persönlichen Probleme nicht effektiv zusammenzuwirken. Mehr noch: Diese Mannschaft mutet anfangs arg disharmonisch und zuweilen dysfunktional an. Und doch sind es genau jene Personen, die Picard in den Weg seines Schicksals gelegt wurden und für die er Verantwortung zu übernehmen beginnt. Vermutlich schließt er seine neuen Gefährten so rasch ins Herz, weil er begreift, dass er selbst nicht mehr der makellose Sternenflotten-Captain von einst ist – er kann sich mit seiner Besatzung, die so viel emotionalen Ballast mit sich schleppt, identifizieren. Und so ist nicht verwunderlich, dass sich bei seinem Aufbruch von der Erde auf der La Sirena neben ihm selbst gleich mehrere ehemalige Sternenflotten-Offiziere versammeln oder jedenfalls Personen, die aufgrund schlechter Erfahrungen mit der Sternenflotte gebrochen haben. All diese gebrochenen Gestalten werden durch die gemeinsamen Abenteuer verändert, wiederaufgerichtet, und an bestimmten Wegmarken wird es für einige Figuren Zeit, Abschied zu nehmen. Sehen wir uns die gebrochenen (Anti-)Helden von Picards neuer Reise zu den Sternen ein wenig genauer an.
„Ich wünschte wirklich, Sie wären an meinem freien Tag gekommen“ – Agnes P. Jurati
Steckbrief
Auftauchen in PICARD: Staffel 1 & 2
Spezies: Mensch (später Borg)
Geboren: ~2365, Erde
Rolle: leitende Wissenschaftlerin am Daystrom-Institut (2381 – 2399); zivile Beraterin an Bord der U.S.S. Stargazer-A (2401); neue Königin eines alternativen Borg-Kollektivs (2024 – 2401 und darüber hinaus)
Spitzname: „Aggie“ (Bruce Maddox)
Nennt Picard: „Mister“
Schauspielerin: Alison Pill
Dr. Agnes Jurati ist eine wissenschaftliche Expertin auf dem Gebiet der Kybernetik und am renommierten Daystrom-Institut im japanischen Okinawa tätig, eine der führenden Forschungsstätten für die Erforschung und Entwicklung künstlichen Lebens. In den frühen 2380er Jahren von Bruce Maddox aus den Reihen der Sternenflotte abgeworben, forschte sie unter seiner Leitung daran, auf Basis der Erkenntnisse über Lieutenant Commander Data und andere Vertreter des Soong-Typs hoch entwickelte Androiden zu erschaffen. Es kam allerdings die romulanische Supernova-Krise dazwischen, und Maddox sah sich auf Druck der Sternenflotte gezwungen, unterlegene Arbeitsandroiden (Typ Daystrom-A500) zu entwickeln, womit er seine eigentliche Forschung stark zurückstellen musste (Roman I). Trotzdem entwickelte er in dieser Zeit diverse Theorien und feilte an ihnen. Jurati und er wurden ein Team und sogar ein Liebespaar (PIC 1×05). Nach dem Entwicklungsverbot für synthetisches Leben infolge des Mars-Angriffs (2385) wurde die Abteilung für Hochentwickelte Synthetik schlagartig in weiten Teilen stillgelegt; die Forschungsausrichtung durfte nunmehr nur noch theoretischer Natur sein. Maddox, dessen Name in der Föderation mit der Rebellion der A500er in Verbindung gebracht wurde, war von dieser Entwicklung derart schockiert und entsetzt, dass er beschloss, unterzutauchen, womöglich um außerhalb der Föderation weiter an Androiden zu forschen. Im Laufe der Jahre versuchte Jurati, seinen Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen, hatte jedoch keinen Erfolg. Nach Maddox‘ Verschwinden forschte sie am Daystrom-Institut auf theoretischer Ebene weiter. Jurati blieb jedoch frustriert, zumal sie den Eindruck gehabt hatte, Maddox, sie und das restliche Team seien bereits in Reichweite der Entwicklung eines fortschrittlichen Androiden gewesen, als alles durch das Verbot zum Erliegen kam.
„Das war das große Ziel: empfindsame Androiden, die von außen und innen wie Menschen wirken. Fühlt sich an, als wäre es eine Ewigkeit her. Willkommen in den Überresten der Föderationsabteilung für Hochentwickelte Synthetik. […] Hier wurden auch die Androiden entwickelt, die den Mars zerstört haben. Jetzt darf unsere Forschungsausrichtung nur noch theoretisch sein. […] Diese Forschung hier hat uns alles bedeutet. Auch mir. Niemand entwickelt jetzt noch Androiden, egal welcher Art. Das wäre ein Verstoß gegen den galaktischen Vertrag.“ (Agnes Jurati in PIC 1×01)
Als im Jahr 2399 Jean-Luc Picard Jurati infolge seiner Begegnung mit Dahj Asha aufsucht, weiht er sie in seine kürzlichen Erlebnisse mit der mutmaßlichen Androidin ein. Er konfrontiert sie mit Dahjs Halskette, die Jurati als Symbol von Maddox‘ Forschung wiedererkennt und begreift, dass dieser seine Arbeit tatsächlich im Verborgenen fortgeführt haben muss. Sie vermutet, dass Maddox seine Theorie des fraktalen neuronalen Klonens in die Tat umgesetzt hat, um Androiden aus Fleisch und Blut zu erschaffen. Jurati, die stets für ihr Fachgebiet und künstliches Leben brannte und sich seit geraumer Zeit auf dem Abstellgleis fühlt, ist von Picards Vorhaben, Dahjs Zwillingsschwester Soji suchen zu wollen und einer womöglich entstandenen neuen Gruppe von Androiden auf die Spur zu kommen, elektrisiert (PIC 1×02). Aufgrund ihres Gesprächs, in dem sie Picard in die Hintergründe der Arbeit an künstlichem Leben eingeweiht hat, gerät sie rasch ins Blickfeld der Sternenflotten-Sicherheit und wird von Commodore Oh aufgesucht. Bei diesem Treffen wird ihr von Oh über eine invasive Gedankenverschmelzung gezeigt, was Maddox‘ Forschung, sollte sie weitergeführt werden, angeblich auslösen wird. Jurati ist durch die Bilder enorm verstört und willigt ein, als Agentin für sie zu arbeiten, unwissend dass es sich bei Oh in Wahrheit um eine hochrangige romulanische Zhat Vash-Spionin handelt (PIC 1×03; 1×07). Daraufhin schließt sie sich auf Ohs Druck Picards Mannschaft auf der La Sirena an.
„Sie müssen mich mitnehmen, und ich sage Ihnen, wieso. Erstens habe ich gerade einen Mann getötet und Ihr Leben gerettet. Zweitens sind Sie ein guter, anständiger Mann, der zu Empathie und Mitgefühl fähig ist. Und ich bin eine Wissenschaftlerin, die Ihr gesamtes Leben von einem Wunder geträumt hat, in dem Wissen, dass es nie eintreten wird. Und nun ist es eingetreten, und es ist echt, und ich will sie unbedingt sehen. […] Ich bin Agnes P. Jurati. Ich bin führende Expertin für künstliches Leben, und wenn Sie mich mitnehmen, verspreche ich, dass ich mich bezahlt machen werde.“ (Agnes Jurati in PIC 1×03)
Im Zuge ihres gemeinsamen Abenteuers wird Jurati unter dem Einfluss Ohs zu harten und kaltblütigen Entscheidungen verleitet werden. Höhepunkt dieses mentalen Missbrauchs durch die Romulaner wird der Mord an Bruce Maddox sein, den Picard und seine Crew auf dem Planeten Freecloud vorfinden und aus den Fängen Krimineller befreien. Ehe Jurati ihren ehemaligen Liebhaber tötet, lässt Maddox sie noch wissen, dass ihr Forschungsbeitrag in der Vergangenheit mitentscheidend war, um sein Werk in die Tat umzusetzen, an der Seite Altan Inigo Soongs hochentwickelte Androiden zu erschaffen.
„Hast Du sie gesehen? Hast Du Dahj kennengelernt? […] Sie sind perfekt. Perfekt und vollkommen. Ich hab’s geschafft, Aggie. Soong und ich. Und Du. Dein Beitrag war maßgeblich.“ (Bruce Maddox in PIC 1×05)
Zum Ende der Staffel wird die La Sirena auf dem abgeschiedenen Planeten Coppelius die von Maddox und Soong kreierte Androidenzivilisation finden (PIC 1×09). Ähnlich wie Maddox wird Soong Jurati wissen lassen, sie stelle für die Androiden so etwas wie eine Mutter dar. Jurati wird mithelfen, die Kolonie der Syntheten gegen die sich nähernde romulanische Flotte unter Ohs Befehl zu verteidigen. Zusammen mit Soong wird sie Picard daraufhin zu einem neuen Leben in einem experimentellen Golem-Körper verhelfen (PIC 1×10).
Im Anschluss an die Ereignisse der ersten Staffel rehabilitiert sich Jurati, trotz verbleibender Schuldgefühle. Die Föderationsjustiz spricht sie des Mordvorwurfes frei mit der Begründung, sie habe während der Tat unter „alieninduziertem Wahn“ gelitten. Jurati schließt sich ihrem Freund Cristóbal Rios an, der sich entschieden hat, in den Dienst der Sternenflotte zurückzukehren. Im Jahr 2401 erhält er den Befehl über die U.S.S. Stargazer-A, und Jurati fungiert als eine zivile wissenschaftliche Ratgeberin. Auf dem Planeten Raritan IV begleitet sie Soji während einer diplomatischen Initiative, um die Coppelius-Zivilisation in der Galaxis bekanntzumachen (PIC 2×01). Kurz darauf wird sie mit Picard und der alten Mannschaft der La Sirena vom omnipotenten Wesen Q in ein Raum-Zeit-Abenteuer verwickelt, das sie ins Jahr 2024 zurückführt (PIC 2×02; 2×03). Dort entwickelt eine alternative Borg-Königin, die sie aus einer nicht minder alternativen Version des Jahres 2401 aufgelesen haben, nach einem Zeitsprung zurück nach 2024 ein besonderes Interesse an ihr und ihrem Geist (PIC 2×04). Wenig später wird es der tödlich verwundeten Königin gelingen, Jurati so zu assimilieren, dass in ihr eine neue Borg-Königin heranreift (PIC 2×05). Jurati gelingt es im weiteren Verlauf jedoch, mit der Essenz der Borg-Herrscherin, die auf sie übertragen wurde, überein zu kommen, dass sie sich in neuer Weise fusionieren. So kann Jurati die Königin – welche in ihr eine Art fehlenden Part wiedererkennt – dazu bringen, ihre gewaltsame Assimilationspraxis aufzugeben und mit ihr zusammen ein abweichendes Kollektiv in eigener Sache zu kreieren, das auf Freiwilligkeit basiert, und sie fliegen mit der La Sirena davon (PIC 2×09). Nach Rückkehr in die echte Gegenwart wird Picard im 25. Jahrhundert auf die neue Königin Jurati treffen, die ihnen bei der Bekämpfung eines rätselhaften Raumphänomens helfen und als seine vorübergehende Torwächterin fungieren wird (PIC 2×10). Ihr weiteres Schicksal ist ungewiss; sie wird nicht mehr in Erscheinung treten.
Charakterisierung: Agnes Jurati ist einerseits eine unheimlich kompetente und wissbegierige, andererseits eine labile, zerstreute, feinfühlige und nervös-redselige Frau, die viele Charakteristika einer hochbegabten, unkonventionellen Persönlichkeit offenbart. Sie scheint jener Typ Mensch zu sein, der zwar in der eigenen Arbeit brillant ist, dessen Leben zugleich niemals allzu weit vom völligen Kontrollverlust entfernt ist. Da sie mit sozialen Normen nur bedingt vertraut und im Grunde ihres Wesens idealistisch veranlagt ist, kann sie nur schlecht lügen und ist durch ihre unbeholfene Art zuweilen unfreiwillig komisch. Zugleich scheint sie – gerade nach der Trennung von Maddox – innerlich vereinsamt; sie wirkt ohne Anschluss und unerfüllt. Auch wenn Jurati schreckliche Momente durchleben muss, belebt sie die finale Entdeckung der Androiden und die Erkenntnis, welchen Beitrag sie zu deren Entstehen leisten konnte. Nach dem Coppelius-Abenteuer ist ihre Aufgabe allerdings erst einmal abgeschlossen; sie sehnt sich nach einer neuen Beschäftigung mit synthetischen Existenzen. Die alternative Borg-Königin erkennt nicht nur, wie allein sie aufgrund ihrer Besonderheiten und Gaben ist, sondern auch, dass sie den impliziten Wunsch hegt, Teil jenes Wunders zu werden, das sie in künstlichem Leben sieht. Auf diese Weise gewinnt die Königin nach und nach eine gewisse Macht über Jurati. Doch Jurati wiederum wird auch ihren Einfluss auf die kybernetische Kreatur geltend machen – es wird zu einer ungeahnten Symbiose kommen.
„Arme Agnes Jurati. Schon wieder das Anhängsel, das allein gelassen wird. Nicht für mich. Du bist mehr als Du durchblicken lässt, als die anderen sehen können. Du bist schlau, gewieft und erheblich grausamer, als ich geglaubt hatte. […] Du hast es auch gespürt, habe ich Recht? Das Eine, wofür wir Borg so viele Begriffe haben. Assimilation, Kooperation, Verbundenheit.“ (Borg-Königin in PIC 2×04)
Bilanz: Mit Agnes Jurati eine führende Androidenforscherin ins Team zu holen (die zudem eine persönliche Verbindung zu Bruce Maddox hat), war zweifellos ein cleverer Zug der Drehbuchautoren. Sie passt exzellent zum Leitmotiv aus Staffel eins, bei der es um die Evolution und den Wert von künstlichem Leben geht. Leider gerät Jurati relativ schnell auf eine abschüssige Bahn, indem sie unter Ohs Einfluss zur Mörderin wird. Entgegen der zu Beginn von Season zwei (mit einem zwinkernden Auge) nachgeschobenen Begründung, sie sei beim Mord an Maddox nicht bei Sinnen gewesen, scheint es allerdings in den entsprechenden Episoden der Auftaktstaffel, dass Jurati sehr wohl in Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte war. Damit bleibt ein wenig das Image einer Person mit fraglichem psychologischem Profil an ihr haften. Das ist schade, da man eigentlich erwartet hätte, dass Jurati mehr mit ihrer Expertise als herausragende Wissenschaftlerin glänzen kann. Dies tut sie immerhin zum Schluss, wobei die Vollendung des Golems und Picards Transfer in den neuen Körper ein wenig wie das weiße Kaninchen aus dem Hut gezaubert wird. In Staffel zwei wird Juratis anhaltende Begeisterung für künstliches Leben mit der Borg-Königin gepaart – eine Kombination, die zwar eine gewisse Erfüllung für sie bereithält, doch durch ihren vorzeitigen Abschied aus der Serie bleibt so manches an ihr unauserzählt. Aus Agnes Jurati hätte man gewiss noch mehr machen können, aber auch so war sie ein erfrischend anderer Charakter in Star Trek.
„Ich bin nur ein guter Samariter auf der Durchreise“ – Cristóbal Rios
Steckbrief
Auftauchen in PICARD: Staffel 1 & 2
Spezies: Mensch
Geboren: ~2355, Chile, Erde
Rolle: ehemaliger Erster Offizier der U.S.S. Ibn Majid (bis 2390); nun selbstständiger Captain der S.S. La Sirena (2391 – 2399); später Captain der U.S.S. Stargazer-A (2401)
Spitzname: „Chris“
Nennt Picard: „Picard“, „Jean-Luc“
Schauspieler: Santiago Cabrera
Bis 2390 war Cristóbal Rios Erster Offizier der U.S.S. Ibn Majid. In diesem Jahr kam es im Vayt-Sektor zu einem Erstkontakt mit unbekannten Wesen namens Wunderschöne Blume und Jana. Während des protokollarischen Abendessens fand Captain Alonzo Vandermeer – Rios‘ jahrelanger Mentor und enger Freund – heraus, dass es sich bei ihnen um Androiden handelte, was er jedoch strikt für sich behielt. Gemäß eines geheimen Befehls direkt von der Sternenflotten-Sicherheit musste er die beiden töten und den Vorgang vertuschen. Rios stellte ihn für diese entsetzliche Tat zur Rede und erfuhr von seinem Captain lediglich, er sei zu dieser Tat gezwungen worden, denn bei einer Verweigerung des Befehls wäre die Ibn Majid zerstört worden. Infolgedessen erlitt Vadermeer wegen seiner Schuldgefühle einen Nervenzusammenbruch, gab seiner düsteren Verfassung nach und nahm sich in Anwesenheit von Rios das Leben. Nun auf sich gestellt, setzte Rios aus Loyalität zu seinem Captain dessen angeblichen Befehl um, um das Schiff zu schützen. Er ließ die Leichen verschwinden und vertuschte den Mord. Um zudem Vandermeers Suizid zu decken, behauptete Rios, er selbst habe seinen Captain erschossen. Offenbar hielt man seine Aussage für fragwürdig, denn er wurde nicht festgenommen oder verurteilt. Allerdings wurde er sechs Monate später aus medizinischen Gründen offiziell aus dem Dienst entlassen mit der Begründung, er leide unter einer nachhaltigen posttraumatischen Dysphorie, was in der Tat Rios‘ permanentem Stresszustand gerecht wird. Aus unklaren Gründen (die Rios in dem Gefühl bestärkten, Vandermeer habe mit seinen kryptischen Aussagen Recht gehabt) löschte die Sternenflotte sämtliche allgemein verfügbaren Informationen über die Ibn Majid (PIC 1×03).
Daraufhin änderte sich Rios‘ Leben grundlegend. Nach einer Auszeit erwarb er auf der Orionerwelt Verex III einen unregistrierten Kaplan-F17-Speedfrachter, welchen er La Sirena taufte. Fortan verdingte er sich als selbstständiger Unternehmer, der sich durch verschiedenste Aufträge über Wasser hielt, die ihn auch in Raumgebiete außerhalb der Föderation verschlugen. (Der PICARD-Roman Schwarze Schafe von John Jackson Miller gibt hierzu mehr Auskunft.) Dabei geriet er in die eine oder andere Schwierigkeit, und durch seine gelegentliche Verwicklung mit intergalaktischen Ganoven übernahm er gewisse raue Sitten und eine saloppere Sprache, vermutlich auch seine Vorliebe für den Konsum von Zigarren. Dennoch blieb er im Herzen den Grundsätzen und der Organisationsstruktur der Sternenflotte verbunden.
„Ich sehe ein Schiff, das makellos gepflegt ist. Jede Schraube und jede Halterung sitzt ordnungsgemäß. Und alles ist nach den Vorschriften der Sternenflotte verstaut. Ich weiß nicht, was Ihnen widerfahren ist, Rios, oder der Ibn Majid. Aber nach fünf Minuten auf diesem Schiff weiß ich ganz genau, wen ich hier vor mir habe. Sie sind Anhänger der Sternenflotte – durch und durch. Das steht Ihnen auf die Stirn geschrieben.“ (Jean-Luc Picard in PIC 1×03)
Selbst knapp zehn Jahre nach den einschneidenden Ereignissen auf der Ibn Majid kann Rios keinen ruhigen Schlaf finden, da er weiterhin den verzweifelten Selbstmord seines Captains vor Augen hat (PIC 1×03; 1×08). Deshalb ist er wenig begeistert, als seine alte Bekannte, die ihrerseits ehemalige Sternenflotten-Offizierin Raffaela Musiker, ihn 2399 kontaktiert. Sie bittet ihn darum, Jean-Luc Picard die La Sirena für eine Mission in eigener Sache anzubieten.
„Ich hatte schon einmal einen heroischen Captain in meinem Leben, und das Letzte, was ich brauche, ist noch einer. Zehn Jahre danach kann ich nachts immer noch nicht die Augen schließen, ohne zu sehen, wie sein Blut und sein Gehirn quer über ein Schott verteilt wird.“ (Cristóbal Rios in PIC 1×03)
Nachdem Picard Rios einen persönlichen Besuch abgestattet hat, lässt sich letzterer überzeugen, dem pensionierten Admiral seine Dienste als Pilot und sein Schiff für die Reise zur Verfügung zu stellen, auch wenn Rios sich dies stattlich vergüten lässt. Wie sich rasch herausstellt, beinhaltet Picards Mission nicht nur spontane Zwischenstopps, sondern auch eine ganze Reihe von unerwarteten Schwierigkeiten. Daher erweist es sich als goldrichtig, dass er sich auf Rios‘ Flugkünste und Improvisationstalent verlassen kann. So gelingt es Rios, ein Duell mit Kar Kantars altem romulanischen Bird-of-Prey in der gesetzlosen Zone beim Planeten Vashti zu überstehen (PIC 1×04). Nach der Ankunft beim Kasino- und Dienstleistungsplaneten Freecloud findet Musiker heraus, dass Bruce Maddox von Bjayzl an den Tal Shiar übergeben werden soll. Um dies zu verhindern, wird Rios als angeblicher Vertreter einer weiteren Verhandlungspartei nach Stardust City geschickt. Dort muss er sich dem Beta Annari Vup entgegenstellen (PIC 1×05). Später setzt Rios alles daran, ein Verfolgerschiff des Tal Shiar durch waghalsige Manöver abzuschütteln (PIC 1×07) und navigiert sogar durch einen Transwarptunnel (PIC 1×08). Von großem Nutzen erweisen sich auch die fünf verschrobenen Hologramme (Emmet, Emil, Enoch, Ian, Gastfreundschaftsprogramm), die Rios nach verschiedenen Persönlichkeitsfacetten seiner selbst programmiert hat und die seit jeher seine einzigen festen Gefährten zu sein scheinen (PIC 1×04; 1×08; 2×01).
Bei Picards und Soji Ashas Ankunft auf der La Sirena erkennt Rios in Soji dann Jana wieder. Von dieser Erkenntnis überwältigt und retraumatisiert, zieht er sich in sein Quartier zurück. Raffaela Musiker gelingt es, einen Teil der Ereignisse auf der Ibn Majid zu rekonstruieren, woraufhin sie Rios damit konfrontiert. Wie Rios im weiteren Verlauf erfährt, waren Wunderschöne Blume und Jana die Abkömmlinge eines vor nicht allzu langer Zeit neu entstandenen, von Maddox und Soong kreierten Androidenvolkes. Später wird sich ihm die volle Wahrheit preisgeben: dass nämlich Vandermeer offenbar zum Opfer von Commodore Oh geworden war, einer hochrangigen romulanischen Zhat Vash-Infiltratorin, die aufgrund einer düsteren Prophezeiung alles daransetzt, jegliches androides Leben auszulöschen. Die La Sirena fliegt Coppelius an, wo sie tatsächlich besagte Androidenzivilisation vorfinden und diese kurz darauf verteidigen. Nach Abschluss des Abenteuers kann Rios endlich mit seiner zerrütteten Vergangenheit abschließen, und er beschließt, sich der Sternenflotte erneut zuzuwenden. Nach Wiederaufrollen seines Falls entscheidet diese, die Vorbehalte gegen ihn aufzuheben und ihm eine vollständige Rückkehr in den Dienst zu ermöglichen. Er setzt seine Karriere fort und übernimmt im Jahr 2401 sogar die neue U.S.S. Stargazer-A der Sagan-Klasse. Dies wird allerdings das vorzeitige Ende seiner Sternenflotten-Laufbahn sein, denn Rios wird zusammen mit Picard und der alten La Sirena-Crew von Q in ein Raum-Zeit-Abenteuer geschleudert. Dieses führt zurück auf die Erde des Jahres 2024, wo Rios der Ärztin Teresa Ramirez begegnet und sich in sie verliebt (PIC 2×03; 2×04; 2×06; 2×07; 2×08). Letztlich wird er sich entscheiden, auf der Erde des 21. Jahrhunderts zu bleiben, und der mildtätige Q erfüllt ihm diesen Wunsch. Zusammen mit Teresa begibt Rios sich daran, die uneigennützige Mariposa-Hilfsorganisation zur medizinischen Versorgung Notleidender aufzubauen, die die Jahrhunderte überdauern wird (PIC 2×10; 3×02).
„Ich bleibe hier. […] Ich habe nie in diese Zeit gepasst, mal ehrlich. Alles war falsch. Ich habe allein auf einem Frachtschiff mit fünf holografischen Versionen meiner selbst gelebt. Klingt viel cooler als es ist. Und dann habe ich Sie kennengelernt, Jean-Luc. Ich hatte vorher nie eine richtige Familie. Das haben Sie geändert – Ihr alle natürlich. Und jetzt gehöre ich hierhin. Jean-Luc, ich bin zuhause. […] Vielleicht war es vorherbestimmt, dass es so läuft.“ (Cristóbal Rios in PIC 2×10)
Charakterisierung: Wie im Grunde alle Crewmitglieder der La Sirena, ist Cristóbal Rios auf seine eigene Weise jemand, der lange Zeit heimatlos und entwurzelt war, der sich erst neu finden muss. Ausschlaggebend hierfür war sein Schockerlebnis auf der Ibn Majid, das ihn nachhaltig von sich selbst entfremdet hat. In Staffel eins erleben wir einen Mann, der zwar durchaus sympathisch daherkommt, zuhören und Mut zusprechen kann, aber tief in seinem Innern eine dunkle, nachdenkliche Persönlichkeit mit sich herumschleppt, die ihm an verschiedenen Punkten zum Hindernis wird. Rios, den die Geister der Vergangenheit verfolgen, spricht von seinem „äußerst tragischen Lebensgefühl“, dem er bei der Lektüre antiquierter philosophischer Wälzer nachzugehen sucht.
„Worum geht es da?“ – „Um den existenziellen Schmerz, mit der Unausweichlichkeit des Todes leben zu müssen. Und wie unser Menschsein davon geprägt wird.“ (Agnes Jurati und Cristóbal Rios in PIC 1×04)
Er hat gelernt, seinen anhaltenden Schmerz zu ertragen und mit ihm zu arbeiten. Rios fällt uns als ein Mann auf, der die Sternenflotte hinter sich gelassen zu haben glaubt und damit auch den Lebensstil, wie er im Herzen der Föderation praktiziert wird. Er trinkt gerne Aguardiente und liebt Zigarren; seine Sprache ist blumig und seine Verhandlungsmethoden weichen gelegentlich auf Faustrecht aus (Roman III). Im Zuge der Enttäuschungen seines Lebens hat er gelernt, sich einem gewissen Hang zum Zynismus hinzugeben. Als Folge davon hat der lange Zeit einsame und abgekapselte Mann den leicht narzisstischen Touch kultiviert, Zwiegespräche mit holografischen Versionen von sich selbst zu führen. Nicht einmal seine Rückkehr zur Sternenflotte im Gefolge der Ereignisse von Season eins wird ihm zurückbringen, was er sich erhoffte. Die Zeitreise in die irdische Vergangenheit ist hier wie ein Offenbarungseid: Kurz nach der Ankunft im Jahr 2024 erleben wir, wie schnell Rios – eigentlich Captain – es mit den Prinzipien zur Unterlassung einer Kontamination der Zeitlinie nicht mehr allzu genau nimmt und vielmehr das Wohl seiner Freunde sowie seine eigenen Bedürfnisse an erste Stelle setzt. So wird er erkennen, dass die Uniform der Raumflotte und die Welt der Zukunft nichts mehr für ihn sind. Rios stellt fest, dass die Vergangenheit wehtut, aber sie tut es auf eine für ihn seltsam echtere Weise, die seinem viel beschworenen tragischen Lebensgefühl entgegenkommt (PIC 2×04).
„Ich hatte mir dieses Jahrhundert ganz anders vorgestellt. Ich meine, hier ist alles so intensiv. Mit den ganzen Autos. Alle sind am Hupen, am Schreien, es ist schmutzig… Und überall läuft Musik. Und wie das Essen hier schmeckt. Von den Zigarren gar nicht zu reden.“ (Cristóbal Rios in PIC 2×06)
Erst der radikale Neuanfang im 21. Jahrhundert, für den er sich schlussendlich entscheidet, wird ihm eine gänzlich neue Perspektive im Leben eröffnen, die er ohne Wenn und Aber ergreifen und ihn zur endgültigen Aussöhnung mit sich selbst führen wird.
„Er und Teresa haben eine medizinische Bewegung ins Leben gerufen: die Mariposas. […] Er hat sie mit großem Erfolg durch schwere Zeiten geführt, und sie hat all jenen geholfen, die ihre Hilfe gebraucht haben. […] Sie waren gute Menschen. […] Und mit seinen letzten Atemzügen hat er eine Zigarre geraucht. Er starb so, wie er gelebt hat.“ (Guinan in PIC 2×10)
Bilanz: Zusammen mit Raffaela Musiker stellt Cristóbal Rios eine charakterliche Flanke von Picards neuer Reise dar, denn beide Figuren spiegeln das Scheitern des einstigen Admirals in eigener Spielart. In Rios‘ Fall haben seine tragischen Lebensumstände unmittelbar mit den Hintergründen von Picards neuer Sternenfahrt zu tun, und der Ausgang bringt Rios nicht nur Einsicht, was sich hinter dem rätselhaften Selbstmord seines damaligen Captains verbarg, sondern auch inneren Frieden. Endlich hört er auf, in der Vergangenheit zu existieren, und er wendet sich wieder der Sternenflotte zu. Dennoch konnten wir einem Captain Rios auf der Brücke der Stargazer wohl nie ganz trauen, denn er blieb ein unsicherer Kantonist, der die Jahre außerhalb seines Dienstes nicht mehr ungeschehen machen kann. Innerlich fremdelt er mit seiner Umgebung; er ist ein anderer geworden. So muss er erkennen, dass er besser ins 21. Jahrhundert passt, womöglich weil dieses sein existenzialistisches Empfinden besser widerspiegelt. Rios ist damit eine moderne Verkörperung eines gescheiterten Helden, der fällt, mit der Hilfe neu gewonnener Freunde wieder aufsteht und eines Tages entscheidet, eine ganz eigene Abzweigung im Leben zu nehmen, um von dort alleine weiterzugehen. Es war schön, ihn kennengelernt zu haben.
„Glaub mir, ich bin jetzt clean“ – Raffaela Musiker
Steckbrief
Auftauchen in PICARD: Staffel 1 – 3
Spezies: Mensch
Geboren: 2353, Erde
Rolle: ehemaliger Erster Offizier der U.S.S. Verity (2381 – 2385); Einsatzleitungsoffizier der U.S.S. Excelsior (2401); Offizier des Sternenflotten-Geheimdienstes (später in 2401)
Spitzname: „Raffi“, „Raff”
Nennt Picard: „JL“
Schauspielerin: Michelle Hurd
Als das romulanische Zentralgestirn sich 2381 zu einer nie dagewesenen Supernova entwickelte, übernahm Jean-Luc Picard nach Beförderung zum Admiral den Oberbefehl über die Evakuierung von fast einer Milliarde Romulanern. Da er auf seinem neuen Führungsschiff, der U.S.S. Verity, ein kompetentes Missionsteam zusammenstellen musste, sah er sich als erstes nach einem Ersten Offizier um. Er fand diesen in Lieutenant Commander Raffaela Musiker, einer jungen, aufstrebenden und unkonventionelle Geheimdienstoffizierin (Schwerpunkt: Romulanisches Sternenimperium) mit einer Menge Kontakten (Roman IV). Gemeinsam absolvierten sie über mehrere Jahre hinweg den Marathonlauf, eine romulanische Welt nach der anderen zu evakuieren und die Flüchtlinge an neue Standorte umzusiedeln. Dabei mussten sie enorme Energien und Improvisationsvermögen mobilisieren, die Kapazitäten der Sternenflotten-Mission beständig vergrößern, die politische Rückendeckung aus dem Föderationsrat aufrechterhalten und zugleich mit Widerständen und Paranoia aufseiten der Romulaner konstruktiv umgehen. Im Roman Die letzte und einzige Hoffnung, die die Vorgeschichte zu PICARD darstellt, erhält auch Musiker einen ausführlicheren Hintergrund. Im Zuge der ausufernden, entbehrungsreichen Rettungsmission, der sie sich – aus Loyalität zu Picard wie auch aus humanitären Gründen – immer mehr verschrieb, verlor sie den Draht zu ihrer Familie. Ihr Ehemann Jae Hwang erhob schwere Vorwürfe gegen sie, sie hätte ihn und ihren gemeinsamen Sohn im Stich gelassen. Als der größte Sternenflotten-Einsatz aller Zeiten infolge des ‚Synth‘-Angriffs auf den Mars vorzeitig abgebrochen wurde, fand sich Musiker vor den Trümmern ihres Lebens wieder.
Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, mit Jae und Gabe zu reden, doch sie brachte es nicht über sich. Sie konnte die Anspannung nicht ertragen, die Verlegenheit, die unausgesprochenen, aber allgegenwärtigen Vorwürfe, die inzwischen all ihre Gespräche durchdrangen… Sie konnte das Sterben ihrer Ehe ertragen oder das Sterben der Mission, der sie diese Ehe geopfert hatte, aber nicht beides gleichzeitig. […] Sie konnte nicht glauben, dass das Universum so grausam, so launenhaft sein konnte. (Roman I)
Musiker zahlte also in jeder erdenklichen Hinsicht einen hohen Preis, hatte sie letztlich an beiden großen Fronten – privat wie im Hinblick auf ihre Mission – ultimativ verloren. Besonders bitter für sie war, dass sie Picard bis zum letzten Moment den Rücken freihielt und Vorschläge ausarbeitete, wie sich die Unterstützung für die Rettungsmission nach der Verwüstung der Utopia Planitia-Werften aufrechterhalten ließ. Doch nach einer Anhörung im Sternenflotten-Hauptquartier brachte Picard in einer Art Verzweiflungsakt seinen Rücktritt ins Spiel, der zu seiner Überraschung angenommen wurde – und auch zu Musikers Entlassung führte. Damit endete ihre Karriere abrupt und unter zutiefst ungerechten Bedingungen, da sie als enge Vertraute Picards galt, der nun nicht mehr gut in der Admiralität gelitten war. Picards augenblicklicher Rückzug auf sein französisches Weingut ließ Musiker allein und am Boden zurück. Sie warf ihm vor, nur noch an sich zu denken, keine Dankbarkeit für sie übrig zu haben und sie mit in den Abgrund zu reißen, doch Picard war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr dafür empfänglich und hatte aufgegeben.
Musiker zog sich im Laufe der Jahre ihrerseits mehr und mehr zurück; sie wollte sich vergraben, weil sie sich schämte und ihr umfassendes Scheitern nicht ertrug. So brach sie den Kontakt zu den allermeisten Freunden und Bekannten ab und fand ihr neues Heim in einem Trailer inmitten der Einsamkeit der Vasquez Rocks, wo sie im Angesicht von Isolation, Unglück, Selbstbemitleidung und Perspektivlosigkeit zusehends der Alkohol- und Drogensucht verfiel (PIC 3×02).
„Mein ganzes Leben war in den letzten 14 Jahren ein einziger Absturz in die Demütigung. Und der Demut. Ganz zu schweigen von den Wahnvorstellungen durch Samen und Pilze. Also ändern sich manche Dinge nie. Es wäre schön gewesen, wenn Sie sich einfach mal gemeldet hätten, JL.“ (Raffaela Musiker in PIC 1×03)
Auch jetzt wandte sich Musiker ihrer Familie nicht mehr zu bzw. war für diese unerreichbar, denn das Einzige, das sie neben ihrer aufkeimenden Sucht noch beschäftigte, war eine Theorie, die sie sich kurz vor dem Zusammenbruch der Rettungsmission zurechtzulegen begann und in die sie sich fortan immer weiter hineinsteigerte. Bald schon war Musiker von dem Glauben besessen, die ‚Synths‘ auf dem Mars hätten nicht – wie allgemein angenommen – aufgrund einer Fehlfunktion rebelliert, sondern dies gehe auf eine Verschwörung fremder Mächte innerhalb der Föderation zurück (PIC 1×03; 1×05).
„Je mehr ich über diese ganze Sache nachdenke, desto sicherer bin ich mir, dass es kein Unfall gewesen sein kann. Ich meine, Maddox besteht darauf, dass es kein Fehler in der Programmierung war, nicht wahr? […] Wenn es also kein Fehler war, dann muss es sich um Vorsatz handeln.“ (Raffaela Musiker in Roman I)
„Sie haben früher einmal von einer Verschwörung gesprochen, die ich nicht sehen könne.“ – „Das war auf den Mars bezogen, JL. Auf die Rettung der Romulaner. Und die habe ich nicht einfach gesehen, so wie Menschen Engel sehen oder Geister. Ich habe Beweise. […] Was denken Sie denn, was bei einer Vertuschung passiert? Da wird alles verschleiert.“ (Jean-Luc Picard und Raffaela Musiker in PIC 1×03)
In dem Maße, wie sie dem Reich der Verschwörungstheorien immer mehr verfiel, steigerte sich auch der Konsum von Rauschgiften, was zu Paranoia, Zwangsstörungen und Wahnvorstellungen führte. Die Versuche, doch noch durch eine Hintertür in den Dienst der Sternenflotte zurückzukehren, scheiterten aufgrund ihrer Verfassung ultimativ – Musiker verlor endgültig alle Sicherheitsfreigaben und wurde unehrenhaft entlassen. Ironischerweise sollte sich Jahrzehnte später herausstellen, dass sie mit ihrer verwegenen Annahme, der Androidenaufstand auf dem Mars gehe nicht auf einen Softwarefehler zurück, Recht gehabt hatte. Ihre Familie indes würde sie aufgrund ihres krankhaften Hineinsteigerns in ihre Verdachtsmomente und Theorien über allgegenwärtige Bedrohungen, welche ihre Persönlichkeit schwer zeichneten, endgültig verlieren.
„Und der Angriff auf den Mars?! Erzähl mir, warum gar nicht die Androiden dahinterstecken?! […] Warum hast Du uns im Stich gelassen für diese Schnapsidee von Verschwörungstheorie?!“ – „Das war keine Schnapsidee! Hinter dem Angriff steckt mehr als Du denkst! Mein Schatz, es gibt eine Verschwörung, und die ist größer, als alle glauben. Es standen Leben auf dem Spiel!“ – „Unsere Leben, Mom! Unsere Leben sind auch wichtig, nur nicht für Dich! Ganz ehrlich, Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie scheiße es war, Dein Sohn zu sein!“ (Gabriel Hwang und Raffaela Musiker in PIC 1×05)
„Wenn Du Dich in diese Geschichten ‘reinsteigert – Netzwerke, Verschwörungen –, dann fängt alles wieder an. Mit Drogen, dunklen Löchern, in die Du fällst.“ (Jae Hwang in PIC 3×03)
Auf sich allein gestellt, war Musiker aber nicht vollkommen unproduktiv. Nachdem endgültig klar war, dass sich ihr keine Chance mehr bieten würde, in die Sternenflotte zurückzukehren, baute sie in ihren wachen Phasen ein loses Netz von freien Piloten auf, die verschiedene, anscheinend auch eher halb legale Aufträge erfüllen. Unter ihnen befindet sich Cristóbal Rios (wie sie ein gescheiterter Sternenflotten-Offizier), dem sie aufgrund freundschaftlicher Verbindung immer mal wieder Aufträge vermittelt hat. Diese Kontakte sind es, die Picard 14 Jahre nach ihrer Trennung zu ihr zurückführen. Der Admiral a.D. benötigt für eine unautorisierte Mission, die u.a. dem Schutz von Lieutenant Commander Datas mutmaßlicher Nachfahrin gilt, einen Piloten und ein leistungsfähiges Schiff. Musiker wirft ihm vor, sich all die Jahre nie gemeldet und sie vergessen zu haben. Aus Verbitterung versucht sie Picard zunächst abzuwimmeln, lässt sich schließlich jedoch dazu überreden, ihm einen Piloten zu vermitteln. Nach Picards Rückreise entscheidet sie sich dazu, weitere Nachforschungen zu Bruce Maddox anzustellen, sodass es ihr gelingt, seinen letzten (möglichen) Aufenthaltsort ausfindig zu machen: der Planet Freecloud. Mit dieser Information schließt sie sich Picard, Rios und Jurati an – eine Entscheidung, die nicht ganz uneigennützig getroffen ist, erhofft sich Musiker doch, sich mit ihrem gerade auf Freecloud befindlichen Sohn nach all den Jahren des abgebrochenen Kontakts wieder anzunähern (PIC 1×03). Ihre Hoffnungen mit Blick auf die Wiedergewinnung ihres Familienglücks schlagen zwar bitterlich fehl, doch Musiker wird angesichts ihrer detektivischen Fertigkeiten für Picards Mission entscheidend. Nach der Ankunft bei Freecloud findet sie mittels ihrer umfassenden Geheimdienstkenntnisse heraus, dass Maddox in der Gewalt von Bjayzl, einer skrupellosen Syndikatsführerin, ist. Diese möchte ihn an den Tal Shiar ausliefern, weshalb Musiker zusammen mit Picard und Seven of Nine einen unorthodoxen Rettungsplan erarbeitet, der letztlich funktioniert, auch wenn sie Maddox aufgrund von Juratis Mord an selbigem verlieren (PIC 1×05).
Damit Picard, der von Maddox den Aufenthaltsort von Soji Asha erfahren hat, auf das ‚Artefakt‘ gelangen kann, greift Musiker – obwohl schwer durch ihre erneut aufgeflammte Drogensucht gezeichnet – einmal mehr auf ihr geheimdienstliches Repertoire zurück. Unter Reaktivierung eines alten Kontakts gelingt es ihr, Picard eine diplomatische Freigabe zu verschaffen, mit dem er den stillgelegten Borg-Kubus, welcher nun vom Romulanischen Freistaat verwaltetet wird, betreten darf (PIC 1×06). Später wird Musiker dabei behilflich sein, den Ursprüngen der neu entstandenen Androidenzivilisation habhaft zu werden, diese auf dem Planeten Coppelius zu finden und gegen die Zhat Vash-Bedrohung zu verteidigen (PIC 1×09; 1×10). Nach dem Erfolg der Mission kehrt der auf Coppelius in einem Golem-Körper wiedergeborene Picard in die Sternenflotte zurück und überzeugt die Admiralität, dass auch Musiker wieder ihren Dienst aufnehmen darf. Dabei beruft er sich maßgeblich auf den großen Beitrag Musikers zur Aufklärung der romulanischen Verschwörung und den Umstand, dass ihre Verdächtigungen über eine damalige Manipulation der A500er korrekt waren (Roman IV). Auch wenn Musiker am Anfang keine Bereitschaft zeigte, Picard erneut zu folgen, führte ihre Verwicklung in ein neues Abenteuer dazu, dass sie ein Stück weit mit ihrer Vergangenheit abschließen konnte, da sich herausstellte, dass sie keineswegs verrückt ist. Musiker gewinnt an Bord der La Sirena unverhofft eine Art Ersatzfamilie und mit Seven of Nine sogar eine (zeitweilige) Liebhaberin und enge Freundin. Auf ein Happy End mit ihrer eigenen Familie muss sie hingegen noch eine Weile warten.
Nach ihrer Wiedereinsetzung arbeitet sie zunächst als Einsatzleitungsoffizier auf der U.S.S. Excelsior und übernimmt eine besondere Fürsorge für den ersten romulanischen Kadetten Elnor, welchen sie ins Herz schließt. Dann macht das Superwesen Q Picard und seinen Freunden einen Strich durch die Rechnung und ersinnt einen Eingriff ins Raum-Zeit-Gefüge, woraufhin die La Sirena-Mannschaft wieder zusammengeführt wird (PIC 2×01). Im Zuge dieses interdimensionalen Abenteuers muss sich Musiker einmal mehr mit Schmerz und Verlust auseinandersetzen, als Elnor stirbt und sie um die Beziehung mit Seven of Nine kämpfen muss. Der erfolgreiche Abschluss dieser zweiten großen Mission führt bei Musiker erneut zu einem Umdenken: Sie kehrt in die Schatten zurück und ermittelt wieder für den Geheimdienst, diesmal investigativ und teils undercover. Vermutlich wurde sie sogar angefragt, um bei den Ermittlungen zum Einbruch in die Daystrom-Station (Operation: Daybreak) zu helfen. Im Verlauf dieser monatelangen Kärrnerarbeit wird sie sogar mit dem großen Worf zusammentreffen und ein Team mit ihm bilden, um eine Formwandlerverschwörung innerhalb der Sternenflotte aufzudecken (PIC 3×02; 3×05). Letztlich wird es maßgeblich Musikers Tüchtigkeit und ihre enorme Durchhaltekraft sein, die sie zur Heldin machen und sogar zu ihrer Familie zurückführen wird (PIC 3×10).
Charakterisierung: Raffaela Musiker ist ohne Zweifel hoch talentiert und einfallsreich; sie besitzt auch ein großes Herz und mütterliche Empathiefähigkeit. Trotz ihrer enormen Potenziale und Fähigkeiten, kreativ und out of the box zu denken, ist sie ein höchst instabiler Charakter. Entsprechend schwankt sie in kurzer Zeit zwischen extremen Gemütszuständen wie Euphorie, Depression und Aggressivität. In vielen Situationen kann man beobachten, dass ihr die Selbstkontrolle schwerfällt. Sie verliert schnell die Fassung und fährt aus der Haut. Weil sie wenig Abstand zu sich selbst hat und ihren Emotionen rasch nachgibt, neigt sie mitunter zu irrationalem, auch selbstschädigendem Verhalten. Lange Jahre vom Gefühl begleitet, trotz enormen Einsatzes und Engagements schlimmstmöglich bestraft worden zu sein, hat sich eine extreme Verbitterung in ihr breit gemacht, die sie in Alkohol zu ertränken pflegte und sich mit verschiedensten Drogen betäubte. Gerade Picard, dem gegenüber sie lange Jahre so loyal und aufopferungsvoll war, nimmt sie zutiefst – und zu Recht – übel, dass er nach dem Scheitern seiner Rettungsoperation keinerlei Fürsorge für sie übernommen hat. Ungeachtet dieses Lebensfrustes zeigt ihr weiterer Werdegang in PICARD, dass Musiker zu Vergebung und Neuaufbruch in der Lage ist, dass ihr Picard trotz seines Versagens nach wie vor am Herzen liegt und sie das Bedürfnis hat, Mitmenschen zu finden, mit denen sie Erlebnisse und Gemeinsamkeiten verbinden. Dies alles erhält sie an Bord der La Sirena. Auch erkennen wir, dass ihr Misstrauen und ihre Hartnäckigkeit sie gelegentlich zu Erkenntnissen führen, die anderen verborgen bleiben.
Bilanz: Raffaela Musiker und Cristóbal Rios sind Prototypen neuer Hauptfiguren in Star Trek, wie sie Gene Roddenberrys Vorstellungen eigentlich widersprechen. In TOS und noch mehr in TNG wollte dieser Figuren zeichnen, die sich von den Problemen und Fesseln unserer heutigen Gegenwart gelöst haben. Musiker hingegen entspricht einer recht zeitgenössischen Charaktererzählung, denn sie tritt uns als gebrochen und abgestürzt gegenüber. Gerade zu Beginn der Serie erscheint sie drogen- und alkoholabhängig, sie ist sichtlich emotional kompromittiert, jähzornig und wankelmütig, oft auch kopflos. Gerade in Season eins erinnert Musiker damit eher an eine abgehalfterte Tatort-Ermittlerin, die bei ihrer Arbeit auch ihre persönliche Last stets mit sich schleift und jedes Mal am Rand des Zusammenbruchs operiert. Dies wird derart weit getrieben, dass es zugegebenermaßen etwas schwerfällt, sich vorzustellen, wer sie vor der Mars-Katastrophe gewesen ist und wie sie ein verantwortungsvoller, professioneller XO für Picard gewesen sein kann. Doch vermutlich soll auch Musiker ein Beispiel dafür sein, wie schwerwiegend der Fortgang der Zeit einen Menschen verändern kann. Trotzdem ist in ihrer chaotisch-masochistischen Natur ein guter Kern zu finden, und sie entpuppt sich als sympathische, umgängliche Person. Gemeinsam mit Rios stellt sie eine Art Gewissen der bunt zusammengewürfelten La Sirena-Crew dar. Aufgrund der zuweilen etwas übertriebenen Darstellung, ihrer Rückfälle, Unberechenbarkeit und gelegentlichen Eskapaden ist sie gewiss der gewöhnungsbedürftigste Neuzugang in PICARD. Glücklicherweise wird ihr Charakter ab Staffel zwei wieder mehr in die Spur finden, auch wenn Musiker vermutlich in keiner Season das ist, was man einen absoluten Publikumsliebling nennen kann.
„Sie schulden mir ein Schiff, Picard“ – Seven of Nine
Steckbrief
Vorangegangene Serie(n): VOY (Season 4 – 7)
Auftauchen in PICARD: Staffel 1 – 3
Spezies: Mensch/Borg
Geboren: 2344, Tendara-Kolonie, Ondau-Sektor
Rolle: Angehörige der Fenris-Rangers (2385 – 2401); Erster Offizier der U.S.S. Titan-A (2401)
Spitzname: „Seven”
Nennt Picard: „Picard“
Schauspielerin: Jeri Ryan
Seven of Nine, tertiäres Attribut von Unimatrix 01, wurde 2344 als Annika Hansen in der Tendara-Kolonie geboren. Ihre Eltern Magnus und Erin Hansen waren Exobiologen und jagten wilden Gerüchten über eine kybernetische Lebensform namens Borg nach. Für diese Suche brachen sie alle Brücken hinter sich ab und begaben sich mit dem Forschungsschiff Raven auf eine ausgedehnte Reise. In deren Verlauf stießen sie tatsächlich auf die Borg und begannen eine Reihe von waghalsigen Feldstudien. Das Ganze endete jedoch tragisch: 2350 wurde die Hansen-Familie assimiliert, einschließlich der zu diesem Zeitpunkt gerade einmal sechsjährigen Annika (VOY 4×06; 5×15; 5×16). Ende 2373 ging die im Delta-Quadranten auf Heimreise befindliche U.S.S. Voyager unter dem Kommando von Captain Kathryn Janeway ein Zweckbündnis mit den Borg ein, die sich in einem vernichtenden Krieg mit Spezies 8472 – einer extrem hoch entwickelten telepathischen Spezies aus einem fluiden Raum – befanden. Janeway erhoffte sich von dieser Zusammenarbeit eine sichere Passage in Richtung Heimat. Die Kooperation verlief nicht wie erhofft, doch der Voyager gelang es, den Borg zu entkommen (VOY 3×26; 4×01). An Bord verblieb die Drohne Seven of Nine, welche die Borg für die Zusammenarbeit mit Janeway und ihrer Mannschaft abgestellt hatten. Da die Verbindung zum Kollektiv aufgrund der zurückliegenden Geschehnisse unterbrochen worden war, beschloss Janeway, Seven of Nine von ihren technologischen Komponenten zu befreien und in ein menschliches Individuum zurückzuverwandeln (VOY 4×02). Der ganze Eingriff war heikel: Noch nie zuvor hatte jemand den Versuch unternommen, eine Person, die so lange assimiliert war, aus der Borg-Gemeinschaft herauszulösen. In Seven of Nines Fall war es so, dass sie den größten Teil ihres Lebens nur als Borg-Drohne gekannt hatte. Zwar gelang die Operation, aber eine Reihe ihrer Borg-Implantate mussten dauerhaft in ihrem Körper verbleiben. Als Seven zu sich kam, erhob sie schwere Vorwürfe gegen Janeway. Noch wollte sie alles dafür tun, wieder ins Kollektiv zurückzukehren und hinterging hierzu auch die Voyager.
In den folgenden Monaten entwickelte sich Janeway immer mehr zu Sevens Mentorin. Es entstand eine Art Mutter-Tochter-Verhältnis: Janeway wollte der ehemaligen Borg helfen, ihre eigene Menschlichkeit, ihre Wurzeln und ihre Identität zu entdecken (oder besser gesagt: zurückzuerobern). Dabei zur Seite stand ihr auch der holografische Doktor der Voyager, der für sie ein besonderer Freund wurde. Seven nahm ihr Menschsein zuerst nur zögerlich und mit Rückschlägen an; auch musste sie sich düsteren Erinnerungen und Ängsten aus der Zeit ihrer Assimilierung sowie ihren Taten im Namen der Borg-Mission stellen, die sie über mehrere Staffeln hinweg schmerzvoll begleiteten (u.a. VOY 4×06; 4×26; 5×15; 5×16; 6×02; 7×02; 7×18). Die Nemesis ihrer Förderin Janeway war dabei niemand Geringeres als die Borg-Königin selbst, die, wie wir erfuhren, ein ganz eigenes, spezielles Interesse an Seven hatte. Bald schon wurde Seven zu einem unverzichtbaren Mitglied der Voyager-Besatzung (u.a. spezialisiert auf Nanotechnologie und Astrometrie), ohne das die Weiterreise des Schiffes längst nicht so erfolgreich verlaufen wäre. Ab 2376 fungierte Seven ihrerseits als Mentorin für eine Gruppe ehemaliger Borg-Kinder. Aus dieser Gruppe blieb letztlich nur der Teenager Icheb an Bord der Voyager. Seven wurde für ihn so etwas wie eine Ziehmutter. Wiederum eine Freundin wurde sie für die junge Naomi Wildman, ein junges Mädchen, das 2372 an Bord der Voyager geboren worden war und von daher eine ähnliche Perspektive auf das ‚Home far away from Home‘ besaß wie Seven (u.a. VOY 2×21; 5×07; 5×15; 5×16; 6×02).
„Ich denke, dass Sie etwas erinnerungswürdiger sind als Sie sich selbst zugestehen wollen. Sie brauchen das Kollektiv nicht, um Ihre Existenz zu bestätigen. Sie haben einen überwältigenden Eindruck bei der Crew hinterlassen. Das ist Ihr Vermächtnis.“ (B’Elanna Torres in VOY 7×02)
Nach der vorzeitigen Rückkehr der Voyager in den Alpha-Quadranten Anfang 2378 (VOY 7×25; 7×26) lief vieles für Seven nicht so wie erhofft. Sie traf auf ausgeprägte Vorurteile in der von Krieg, Bedrohung und Ressentiment gezeichneten Föderationsgesellschaft, und trotz Admiral Janeways Intervention wurde Seven die Aufnahme an der Akademie der Sternenflotte verweigert. Janeway drohte deswegen sogar mit Rücktritt, aber Seven gab das Vorhaben auf (PIC 2×09). Auf der Suche nach einer neuen Perspektive wandte sie sich letztlich den Fenris-Rangers zu, einer paramilitärischen Gruppierung von idealistischen Freiheitskämpfern und Hütern. Nach dem Kollaps der Ordnung im Bereich der romulanischen Neutralen Zone und angrenzenden Gebieten sind die Fenris-Rangers (welche vermutlich nach dem Fenris-Wolf aus der nordischen Mythologie ihren Namen erhielten) darum bemüht, den Schutz und die Versorgung der lokalen Bevölkerungen aufrechtzuerhalten und das entstandene Machtvakuum abzufedern. Ohne jede Unterstützung und herausgefordert durch anarchische Zustände in den zusammengebrochenen Sektoren, sehen sie sich gezwungen, auch illegale Methoden zu ergreifen, um ihre Ziele zu erreichen.
„Die Fenris-Rangers sollen es ziemlich schwer haben. […] Ich bewundere die Ziele der Rangers, ihren Mut, ihre Hartnäckigkeit. Aber Sie und die Rangers nehmen das Gesetz in die eigene Hand.“ – „Welches Gesetz?“ – „Der Punkt geht an Sie. Nichtsdestotrotz: Sich selbst zum Henker und Richter zu ernennen, ist –…“ – „Ich lass‘ mir hier keinen Vortrag halten. Sie glauben, wir betreiben Selbstjustiz? Na schön. Ranger zu sein, ist mein Job. Ich rette damit nicht die Galaxis, aber ich helfe Jenen, denen sonst niemand hilft. Es ist hoffnungslos, aussichtslos und ermüdend. Aber noch schlimmer wäre es…wenn wir aufgeben würden.“ (Jean-Luc Picard und Seven of Nine in PIC 1×05)
„Ach, wie nobel Du damals warst. Die Retterin der Ausgestoßenen und all der verlorenen Seelen.“ (Bjayzl in PIC 1×05)
In den Jahren als Fenris-Ranger erlebte Seven in umfänglicher Weise, welche Konsequenzen der Rückzug der Föderation und der Sternenflotte von sämtlichen Rettungs- und Unterstützungsaktivitäten gehabt hatte, und ihr Bild von der Planetenallianz erhielt noch mehr Risse und Sprünge. Dies schließt auch Jean-Luc Picard ein, den Seven persönlich dafür verantwortlich machte, durch seine Resignation den Tod und das Leid zahlloser Millionen billigend in Kauf genommen zu haben. 2386 verlor sie Icheb, der ebenfalls mit der Voyager zur Erde gelangt war (VOY 6×16; 6×19; 7×26). Dieser wurde von der Ganovin Bjayzl, die sich unter falscher Identität bei den Rangers eingeschlichen hatte, in eine Falle gelockt, woraufhin seine Borg-Implantate in einer brutalen Prozedur extrahiert wurden, um diese auf dem Schwarzmarkt gewinnbringend zu verkaufen. Seven sah sich gezwungen, den schwer verletzten Icheb mit einem Phaserschuss zu erlösen; er starb in ihren Armen.
In PICARD taucht Seven zum ersten Mal zufällig und überraschend auf. Auf dem Weg nach Freecloud lässt Picard die La Sirena einen Umweg nach Vashti fliegen, da er dort einen jungen Romulaner namens Elnor für die Crew anwerben will, was ihm auch gelingt. Wenig später wird das Schiff jedoch von einem romulanischen Bird-of-Prey im Besitz eines Warlords angegriffen. Daraufhin werden Picard und seine Leute von einem plötzlich eintreffenden Kampfjäger unterstützt, der ihnen aus ihrer schwierigen Lage heraushelfen kann, allerdings zerstört wird. Als man den Piloten an Bord beamt, entpuppt sich dieser als Seven (PIC 1×04). Sie kommt gerade wie gerufen. Auf Freecloud ist Seven Picard und seinen Leuten behilflich, Bruce Maddox aus der Gewalt von Bjayzl zu befreien. Sie nimmt mit Duldung Picards – der ihren tiefen Schmerz begreift – die Gelegenheit wahr, sich an Bjayzl für Ichebs Martyrium zu rächen (PIC 1×05). Später wird Seven Picard und seiner Crew dabei zur Seite stehen, die ‚Synth‘-Heimatwelt Coppelius zu finden und vor Commodore Oh und ihrer Flotte zu schützen (PIC 1×10). Nach Abschluss dieser Mission schließt sie sich der La Sirena-Mannschaft kurzzeitig an, kehrt später aber zu den Fenris-Rangers zurück. Rios, der um 2400 seinen Dienst bei der Sternenflotte wieder aufnimmt, stellt ihr sein Privatschiff für ihre Arbeit zur Verfügung (PIC 2×01).
Zusammen mit den anderen Mitgliedern der einstigen La Sirena-Besatzung wird Seven im Jahr 2401 durch Qs Intervention in ein neues, ungewöhnliches Abenteuer verwickelt. Dieses führt nicht bloß in die Vergangenheit des Jahres 2024, sondern Q manipuliert Seven so, dass sie keine Borg-Implantate mehr besitzt (PIC 2×02). Dadurch macht sie noch weitergehende Erfahrungen mit Menschlichkeit und der Frage, wer sie eigentlich ist (PIC 2×09). Im Anschluss an die erfolgreiche Bewahrung der Zeitlinie wehren Seven, Picard und ihre Freunde mithilfe eines alternativen Borg-Kollektivs unter Kontrolle der ehemaligen Agnes Jurati ein tödliches Raumphänomen unbekannter Herkunft ab (PIC 2×10). Später gelingt es Seven, mit Unterstützung der Admiräle Picard und Janeway und vor dem Hintergrund ihrer zurückliegenden Leistungen, als Quereinsteigerin in den Sternenflotten-Dienst aufgenommen werden. Es ist unklar, ob sie mehr als eine Station absolviert, doch bereits im Sommer 2401 gelangt sie im Rang eines Commanders an Bord der U.S.S. Titan-A unter dem Kommando von Captain Liam Shaw (siehe Kapitel 10). Schnell wird zu Beginn der dritten Season erkennbar, dass Seven nicht Shaws Wahl war als sie ihm vielmehr von der Admiralität als XO übertragen wurde. Das ohnehin vorbelastete Verhältnis zu ihm wird auf die Probe gestellt, als Picard und Riker unter falschem Vorwand an Bord auftauchen. Aufgrund der freundschaftlichen Verbundenheit zu Picard, hilft Seven ihnen hinter Shaws Rücken bei ihrem Vorhaben, nach Dr. Beverly Crusher zu suchen, indem sie die Titan entgegen seiner Befehle ins Ryton-System bringt (PIC 3×01). Als Shaw hiervon erfährt, suspendiert er sie zeitweilig vom Dienst und macht ihr schwere Vorwürfe, ihren Eid als Offizier gebrochen zu haben.
„Als ich Ranger war, waren die Dinge viel einfacher. Ich konnte meinen Instinkten vertrauen, Ungerechtigkeiten ausräumen. Aber dann haben Sie und Janeway mich überredet, wieder zur Sternenflotte zu gehen. Und da dachte ich, dass das der richtige Weg für mich sein könnte. Und dass ich vielleicht andere irgendwann dazu inspirieren könnte, mir zu folgen – so wie sie Ihnen gefolgt sind.“ – „Ich kann verstehen, warum Sie zweifeln. Aber ich denke trotz allem, dass Sie hier am richtigen Platz sind.“ – „Wie soll ich andere inspirieren, wenn ich von Shaw nur herumkommandiert werde? Ich kann doch nicht mein Bauchgefühl ignorieren oder meine Instinkte, nur um Befehle zu befolgen!“ – „Wenn Sie die Antwort darauf finden, lassen Sie es mich wissen. Ich habe sie nie gefunden.“ (Seven of Nine und Jean-Luc Picard in PIC 3×01)
Seven gehört in den darauffolgenden Ereignissen zu jener Gruppe von Sternenflotten-Offizieren, die zusammen mit Picard und Riker versuchen, hinter die Absichten abtrünniger Wechselbälger zu kommen, die die Sternenflotte infiltriert haben (PIC 3×03 – 3×09). Als die Borg die Sternenflotte am Frontier Day in neuer Weise assimilieren und die Erde angreifen, gelingt es Seven zusammen mit den nicht assimilierten Crewmitgliedern, die Titan zurückzuerobern. Sie führt einen Verzögerungskampf gegen die zahlen- und waffenmäßig weit überlegenen assimilierten Sternenflotten-Schiffe, die das Raumdock der Erde (Sternenbasis 1) unter Beschuss nehmen. Dadurch kann sie Picard und seiner alten Crew an Bord der reaktivierten U.S.S. Enterprise-D mehr Zeit verschaffen, den Racheplan der Borg-Königin zu vereiteln und so die Assimilation rückgängig zu machen. Es sind nicht nur diese Taten, durch die Seven ihren großen Wert für die Sternenflotte demonstriert. Letztlich wird sie auch erfahren, dass Captain Shaw sie weit positiver gesehen hat als er bereit war, zuzugeben, und ihr glänzende Karriereaussichten bescheinigte (PIC 2×10).
„Und das führt mich zum Ersten Offizier Hansen – oder genauer gesagt: zu Seven of Nine. Ich bin ein Relikt aus vergangenen Zeiten, gehe nach Lehrbuch vor. Und ja, das Buch ist langweilig. Aber Hansen ist rücksichtslos; sie ist schonungslos. Protokolle oder Anweisungen interessieren sie einen Dreck. Gleichwohl ist sie mutig und loyal, und das Buch, an dem sie schreibt, wird großartig sein. Und die Regeln, die sie bricht, sollten vielleicht auch besser gebrochen werden. Und daher, im Lichte all dessen, empfehle ich dringend die Beförderung zum Captain, wenn wir zurückkehren.“ (Captain Liam Shaw in PIC 3×10)
Charakterisierung: Aufgrund ihrer langjährigen Zugehörigkeit zum Kollektiv ist bei Seven eine gewisse Unterkühltheit im äußeren Auftreten verblieben, etwas Stoisches und zuweilen Stolzes. Hinter dieser Fassade hat sie sich allerdings im Wandel der Jahre stark verändert und ihre Menschlichkeit viel mehr angenommen als in den VOY-Jahren – im Guten wie im Schlechten. Anders als auf dem Schiff ihrer Wiedergeburt als Mensch hat Seven erleben müssen, was es bedeutet, eine Aussätzige zu sein; sie hat tiefe Verluste erlitten und festgestellt, dass das, was Janeway und Co. ihr auf der Voyager über die Natur der Föderation erzählten, nicht unbedingt der Realität entsprach (oder jedenfalls nicht mehr galt). Seven ist damit ein Paradebeispiel für eine desillusionierte Idealistin, die in eine Welt hineingeriet, in der hinter den Fassaden stolzer Institutionen und Prinzipien Notleidende im Stich gelassen werden. Dass sie sich den Fenris-Rangers anschloss erscheint nachvollziehbar.
Gerade zu Beginn von PICARD erleben wir eine durchaus zynisch gewordene Frau, die die eigene Sache als „hoffnungslos und aussichtslos“ bezeichnet, ihr aber trotzdem eisern die Treue hält (PIC 1×05). Sie kann rücksichtslos sein und missachtet Gesetze und Regeln; sie trinkt beherzt Alkohol und versprüht Gift. Seven hat auch Hass und Rachsucht kennengelernt, und ausgerechnet Picard wird es sein, der ihr letzteres vergönnt, weil er feststellt, dass sie sonst nicht weitermachen kann. In der La Sirena-Gemeinschaft wird Seven kooperativer und öffnet sich stärker, auch und gerade gegenüber Raffaela Musiker, mit der sie über ihre Gefühle spricht und sich ihr anvertraut. So wird es auch Musiker sein, die Seven bewusst macht, dass sie sich nie ganz zu sich selbst bekannt hat, sondern in dem, was sie seither tat, häufig auf der Flucht vor sich selbst war, vor ihrem alten Ich und ihrem ungeklärten Verhältnis zu ihrer schwierigen Vergangenheit.
„Ich bin das hier. Ich bin viel länger Seven gewesen als Annika. Es war so schön, mal gewöhnlich zu sein.“ – „Das ist völlig unmöglich. Denn in welcher Form auch immer – als Borg oder als Mensch – bist Du ganz ohne Frage die außergewöhnlichste Person, die ich kenne. Du bist Dein Leben lang davor weggerannt. […] Und ich frage mich, zu wie viel mehr Du erst fähig wärest, wie viel mehr erst aus Dir werden könnte, wenn Du nicht mehr wegrennen würdest.“ (Seven of Nine und Raffaela Musiker in PIC 2×09)
Bilanz: Mit Seven of Nine wuchs VOY seinerzeit ein ganzer Fächer an Handlungsbögen zu. Eine Frau, die als Kind assimiliert worden ist und von daher kein eigenes Ich entwickelt hat, war ohne Zweifel eine faszinierende Idee. Nach ihrer Befreiung aus dem Kollektiv wird sie gewissermaßen wieder zum Kind, und doch schleppt sie ihr Borg-Erbe allenthalben mit sich herum, physisch wie mental. Das Thema Menschlichkeit und Menschwerdung konnte nun in bester Tradition von Spock, Data oder Odo in allen Facetten ausgeleuchtet werden. Zudem bot sich mit Seven die Möglichkeit, deutlich mehr über das Borg-Kollektiv zu erfahren, das bis dato schleierhaft und in der Schwebe verblieben war. Eine der spannendsten Fragen, die uns VOY nicht mehr beantworten konnte, war: Wie geht es weiter mit Sevens Menschwerdungsprozess, jetzt, da sie die Erde erreicht hat? Auf der Voyager hatte sie unter Führung Janeways und des Doktors große Fortschritte erzielt, soziale Umgangsformen zu erlernen, war jedoch weit davon entfernt geblieben, eine fertige Persönlichkeit zu sein. Ihr Kollektiv war ein 150-Mann-Schiff – nun wurde das Umfeld weitaus größer. PICARD offenbart uns, was in all den Jahren aus der Ex-Borg geworden ist. Analog zu Picard selbst hat sie sich keineswegs so entwickelt wie vielleicht zu erwarten stand, und sie hat eine Menge negativer Erlebnisse aufgeladen, die bestimmend für ihren weiteren Lebensweg waren. Die Geschichte der Seven of Nine ist die Geschichte großer Chancen und enttäuschter Hoffnungen, was viel dramatisches Potenzial bereithält. Wie auch andere Figuren in PICARD erscheint Seven als ernüchterte, frustrierte und traumatisierte, ja sogar von Rachedurst geleitete Person, für die moralische Fehlbarkeit keine Kategorie mehr zu sein scheint. In Season eins lediglich als Gastcharakter angelegt, entschlossen sich die Produzenten aus gutem Grund, die beliebte Ex-Borg fest in den Cast zu holen.
Die Neuinterpretation ihres Charakters ist fraglos spannend und in einem dunkleren Universum durchaus authentisch. Leider erhielt Seven oft nicht die nötige Tiefe, um ihre Persönlichkeit eingehender zu beleuchten und, darauf aufbauend, weiterzuentwickeln. Etwas schade ist, dass sie in PICARD als Solitär unter den VOY-Charakteren unterwegs ist, denn einmal abgesehen von den Mini-Cameos von Icheb und Tuvok traf sie mit keinem ihrer alten Mannschaftskameraden wieder zusammen. Wie bereichernd wäre es gewesen, wäre sie wieder Janeway, dem Holodoc oder der erwachsenen Naomi Wildman begegnet, die ihre Entwicklung viel persönlicher und tiefgehender hätten kommentieren und womöglich beeinflussen können. Zudem wurde die Verbindung zu Jean-Luc Picard zu schwach entwickelt: In Season drei bezeichnet sie ihn zwar als „Freund“, aber wir haben zu wenig Zusammenspiel zwischen beiden Figuren gesehen, um wirklich zu verstehen, was Seven und Picard über ihre allgemeine Borg-Vergangenheit hinaus miteinander teilen. Davon unbenommen war Sevens Präsenz in PICARD eine klare Bereicherung, und in Season drei vollzieht sich endlich, was sich viele Fans früher schon gewünscht haben: Sie zieht die Uniform der Sternenflotte an. Dass Seven ohne Akademieabschluss gleich als Commander einsteigt, ist plausibel, und wie sich herausstellt, findet sie rasch in die Rolle einer wahren Anführerin. Das Ende der Serie lässt hier eine Menge Möglichkeit für noch Größeres offen. Seven of Nine, Captain des Flaggschiffes der Sternenflotte? Warum eigentlich nicht?
„Sie erzählen eine Geschichte, ich höre zu“ – Elnor
Steckbrief
Auftauchen in PICARD: Staffel 1 & 2
Spezies: Romulaner
Geboren: ~2375, Inxtis, Romulanisches Sternenimperium
Rolle: Qowat Milat (2387 – 2401); Kadett der Sternenflotte (2401)
Spitzname: –
Nennt Picard: „Picard“
Schauspieler: Evan Evagora
Elnor ist ein romulanischer Junge, der 2383 als Teil einer größeren Gruppe romulanischer Flüchtlinge von Admiral Jean-Luc Picards Rettungsflotte aufgrund der drohenden Supernova vom Planeten Inxtis evakuiert und in ein Zwischenlager auf der Föderationsrandwelt Vashti gebracht wurde (Roman I). In dieser Zeit begann Picard eine vertrauensvolle Verbindung mit der Oberin Zani von den Qowat Milat aufzubauen, einer Fraktion von Kriegernonnen mit alternativer Weltanschauung, die von Inxtis nach Vashti übersiedelten und bei der Aufnahme und Betreuung unzähliger weiterer Flüchtlinge halfen. Zani und ihre Ordensschwestern beherbergten einen kleinen Waisenjungen namens Elnor, zu dem Picard – trotz seiner Zurückhaltung gegenüber Kindern – ein väterliches Verhältnis knüpfte. Wann immer er nach Vashti kam, um die Ansiedlungs- und Integrationsbemühungen zu beaufsichtigen, bemühte er sich, Zeit mit Elnor zu verbringen, las ihm Geschichten aus seiner eigenen Kindheit und Jugend vor (z.B. Die drei Musketiere) und brachte ihm das Fechten bei. Picard hatte Elnor versprochen, langfristig ein neues Heim für ihn zu finden, in dem er aufwachsen konnte. Dieses Versprechen konnte er jedoch nicht einlösen, da er wegen des ‚Synth‘-Angriffs auf den Mars zuerst die Unterstützung der Sternenflotte für die weiteren Evakuierungspläne und letztendlich auch seinen Posten verlor. Entgegen seines eigentlichen Versprechens, schnellstmöglich zurück zu sein, suchte Picard die Enklave der Qowat Milat nicht mehr auf, und im Chaos der folgenden Jahre konnten auch die Ordensschwestern keinen besseren Ort für Elnor finden. Daher verblieb er bei ihnen wurde von der Schwesternschaft als einer der ihren aufgezogen. Er erlernte die Tan Qalanq-Kampfkunst, die Philosophie der unbedingten Offenheit und durchschritt alle Prüfungen und Rituale, auch wenn er als Mann niemals ein echter Qowat Milat wird sein können (PIC 1×04).
2399, rund 14 Jahre später, kehrt Picard nach Vashti zurück, um Elnor auf seine neue Reise mitzunehmen, da er ahnt, dass er einen kompetenten Kämpfer benötigen wird und zu alt und zu schwach ist, um für sich selbst zu kämpfen. Elnor, der noch immer wegen des gebrochenen Versprechens tief enttäuscht und wütend ist, lehnt den Auftrag zuerst ab.
„Zani hat mir gesagt, dass Du einer der besten Kämpfer wärest, die sie je gesehen hat. […] Wirst Du mich begleiten, Elnor? Verschreibst Du Dein Schwert meiner Mission?“ – „Weil Sie jetzt einen Nutzen für mich haben? Weil ich plötzlich von Wert für Sie bin? Sie haben mich mir selbst überlassen, alter Mann. Ich sehe keinen Grund, mit Ihnen nicht dasselbe zu tun.“ (Jean-Luc Picard und Elnor in PIC 1×04)
Nachdem er Picard aus einer gefährlichen Situation befreit hat, lässt er sich dann aber darauf ein, da er erkennt, dass ihm trotz der Enttäuschung über Picards uneingelöstes Versprechen und seine lange Abwesenheit immer noch etwas an ihm liegt. Er bindet sich als Qalankhkai an die Mission, da sie seines Erachtens nach die Anforderungen an die Würdigkeit erfüllt. Elnor wird eine wichtige Stütze für Picards Team, auch wenn er nicht immer so eingesetzt werden kann, wie der Admiral a.D. sich dies ursprünglich vorstellte. Während Bruce Maddox‘ Rettung von Freecloud übernimmt Elnor die Position eines Bodyguards (PIC 1×05). Später, als Picard vom Tal Shiar durch das Artefakt gejagt wird, schafft es Elnor, sich von der Crew der La Sirena unbemerkt zu Picards Position auf dem stillgelegten Borg-Kubus zu beamen und die Agenten aufzuhalten. Entgegen Picards Protest verbleibt er auf dem Kubus, um seinem väterlichen Freund und Soji die Flucht zu ermöglichen (PIC 1×06). Später hilft ihm Seven, die Kontrolle über den Kubus zu erlangen und diesen wieder zu verlassen (PIC 1×08).
Anderthalb Jahre später schreibt sich Elnor mit Picards Unterstützung an der Akademie der Sternenflotte ein, sodass er der erste vollblütige Romulaner in ihren Reihen ist. Anschließend wird er der U.S.S. Excelsior zugeteilt, einem Kreuzer, auf dem – nicht von ungefähr – auch Commander Raffaela Musiker stationiert ist (PIC 2×01). Wenig später wird er gemeinsam mit Picard und der alten La Sirena-Mannschaft von Q in eine andere Zeitlinie transportiert, wo Elnor, weil er ein Romulaner ist, von der fremdenfeindlichen Konföderation der Erde demütigend und brutal behandelt wird. Bei dem Versuch, in die Vergangenheit zu fliehen, wird er erschossen, was Musiker besonders hart trifft, da sie Elnor seit einer Weile ins Herz geschlossen und sich seiner angenommen hat (PIC 2×02; 2×03). Nachdem der sterbende Q im Zuge des Erfolgs der Raum-Zeit-Mission Picard und seine Freunde nach 2401 zurückgebracht hat, belebt er in einem letzten Akt der Güte Elnor wieder, und der Romulaner kann seine Ausbildung an der Akademie fortsetzen. Picard wird zum Schluss deutlich machen, dass er auch Elnor als Teil seiner Familie ansieht (PIC 2×10).
Charakterisierung: Elnor sehnt sich nach einem neuen Aufbruch im Leben – eine Sehnsucht, die nicht zuletzt Picard bei seinen Besuchen auf Vashti im Jungen angefacht hat. Dass der Admiral ihn im Zwischenlager zurückgelassen hat, nimmt Elnor ihm nicht zu Unrecht übel, auch wenn er Picards Beweggründe und seine damalige Machtlosigkeit nachvollziehen kann. Nachdem er sich Picards unautorisierter Mission angeschlossen hat, gewinnt Elnor wieder Tritt und zeigt sich ob der vielen fremdartigen Eindrücke zwar tendenziell überfordert und etwas unbeholfen, aber auch neugierig, und v.a. ist er in jeder Hinsicht treu und ehrlich. Vom Wert seiner Kampfkünste ganz zu schweigen.
Bilanz: Im Grunde kommt Elnor nur in Season eins prominenter vor, wobei er auch hier eine klare Nebenrolle innehat. Seine Bedeutung für die Gesamtgeschichte erscheint – im Gegensatz zu allen anderen Charakteren in Picards Entourage – etwas fraglich, und in so mancher Szene wirkt er seltsam überflüssig. Erkennbar ist an ihm der Wunsch der Drehbuchautoren, einen Romulaner mit im Team zu haben, der Picards problematische Vergangenheit widerspiegelt. Doch bei Elnor erscheint dieser Kniff nicht recht gelungen, denn man wusste nichts recht mit ihm anzufangen. Zudem befinden sich bereits Romulaner im Cast. Insofern fragt man sich unweigerlich: Wieso hat Picard nicht Laris und Zhaban mitgenommen (sondern sie zur Weinlese auf der Erde gelassen), die ihres Zeichens ehemalige Tal Shiar-Agenten sind und ein enges, langjähriges Vertrauensband zum Admiral haben? So erscheint der ganze Plot um Elnor von vorneherein wie ein Lückenbüßer ohne echten Mehrwert, der – im Gegenteil – den potenziellen Wert von Laris und Zhaban eher schmälert. Scheiterte eine sinnvolle Einbettung in Staffel eins weitgehend, unternahmen die Autoren im zweiten Jahr kaum mehr den Versuch. Besser wäre es gewesen, man hätte diesen Charakter weggelassen. Spannender, charismatischer und tiefgründiger hingegen erschien Elnors Bezugsperson Zani (die in der Roman-Vorgeschichte eine wichtigere Rolle erhält), doch ihr war lediglich ein kurzer Gastauftritt vergönnt, sodass die gesamte Flüchtlings- und Qowat Milat-Thematik zum Rohrkrepierer verkam. Ausgesprochen schade.
Fazit: Verraten, lädiert, (un)geschlagen?
Erinnern wir uns kurz der Protagonisten, die wir bislang in zurückliegenden Star Trek-Serien zu sehen bekamen. TOS und TNG präsentierten eine Führungscrew rund um Picard und Kirk, die eine verwegene Forschungsreise einschlug, auf der sie mit Neugier und altruistischen Motiven unterwegs waren. Auf den Missionen, die sie erlebten, ging es ihnen stets darum, ein gutes Beispiel abzugeben. DS9 änderte die Darstellung, indem die dortige Mannschaft vorwiegend ‚courage under fire‘ demonstrierte. Sisko und Co. mussten nicht nur in einer unvollkommenen, stationären Umgebung (Bajor, Cardassia, EMZ) dilemmabehaftete Situationen lösen; sie gerieten auch in einen vollumfänglichen Krieg hinein. Sie sahen sich unter Druck, die Föderation zu retten, und das verwickelte sie in Szenarien, in denen ihre Ideale ihnen plötzlich im Weg standen. Doch mussten Prinzipien verletzt werden, kam es bei den ‚Ninern‘ i.d.R. zu einer Abrechnung mit sich selbst – diese Frauen und Männer hatten eine genaue Vorstellung von dem, was sie taten. In VOY ging eine heterogene Besatzung im fernen Delta-Quadranten verloren und versuchte dort, zu ihren Grundsätzen zu stehen (nicht nur im Äußern, sondern auch und gerade im Innern der kleinen Gemeinschaft). ENT verfolgte dann im Sinne eines Prequels den Ansatz, mit Archer und seiner Mannschaft Personen zu begleiten, die sich auf dem Weg in ein verheißungsvolles Zeitalter befanden.
All diese Heldentypen zwischen den 1960er und 2000er Jahren können wir als Spielarten von Gene Roddenberrys ‚Advanced Human‘-Konzept auffassen. Doch in PICARD kann keine Rede mehr davon sein. In der Crew der La Sirena versammeln sich regelrecht zusammengebrochene Charaktere, die gar keinen Anspruch mehr an sich haben, Idealen zu folgen und anderen ein strahlendes Beispiel zu sein. Sie sind von ihren Erfahrungen derart aufgezehrt, dass sie sich im Grunde nur noch um sich selbst drehen, in ihrer Haut gefangen sind. Zugleich können wir – ähnlich wie die Serie dies anhand von Picard und der Föderation vorexerziert – die Frage stellen, wie sehr die Menschheit wirklich zu einer besseren, aus heutiger Sicht perfekten Zivilisation geworden ist? Ist es nicht möglich, dass das Ganze etwas aufgebauscht wurde? Produziert eine Gesellschaft wie die Föderation keine Verlierer mehr? Nun, PICARD belehrt uns eines Besseren – und ist damit rundheraus ehrlich. Chabon und Goldsman waren die ‚Bessermenschen‘, die sich im Nietzsche‘schen Sinne selbst überwunden haben, suspekt. Indem sie das bisherige, von Roddenberry geprägte Bild bewusst auf links drehten, entlarvten sie das zelebrierte Utopia als Trugbild oder jedenfalls als Kartenhaus, das allzu schnell in sich zusammenfällt, wenn Dinge anders laufen als geplant. Menschen sind und bleiben fehlbar, Jean-Luc Picard ist es, und es macht das Erfrischende dieser Serie aus, dass sie sich nicht zu schade ist, die glorifizierte Star Trek-Zukunft zumindest zum Teil in Zweifel zu ziehen. Trotz der schweren Bürde, an der jede Figur trägt, beweist PICARD, dass selbst gescheiterte Existenzen sich wieder aufrichten können, ja dass gerade mit dem tiefen Fall fundamentale Selbsterkenntnis und Fortschritt einhergehen können. Auf diese Weise zeigt die Genese aller La Sirena-Charaktere, dass es sich bei dieser Serie nach wie vor um Star Trek handelt. Nur dass PICARD seinen Optimismus eben dadurch demonstriert, indem wir den Protagonisten auch beim Stürzen und Wieder-Aufstehen zusehen und nicht nur bei hehren Worten und Taten.