Kapitel 5 – „Ich habe vom Tod gekostet, aber das hier ist neu“ – Data und die androide (R)Evolution

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Steckbrief
Vorangegangene Serie(n): TNG (Season 1 – 7)
Filme: Star Trek VII – X
Auftauchen in PICARD: Staffel 1 & 3
Spezies: Soong-Typ-Android
Erstmals aktiviert: 2338, Omicron Theta
Erschaffer: Dr. Noonien Soong
Rolle in PICARD: ehemaliger Zweiter Offizier und Einsatzleitungsoffizier der U.S.S. Enterprise-D/-E (2364 – 2379)
Nachfahr(en): Lal (2366); Coppelius-Androiden (erstmals in den 2380er Jahren erschaffen)
Schauspieler: Brent Spiner

 

Mit der Figur des Androiden Data betrat TNG seinerzeit Neuland: Ein künstlicher Mann wurde zum Protagonisten einer Science-Fiction-Serie. Im Laufe von 176 Episoden wurden viele Fragen zu Data beantwortet, aber auch neue aufgeworfen. Nicht wenige davon wurden bereits in einem frühen Stadium der Serie thematisiert: Wie begreifen wir hochentwickelte künstliche Intelligenz? Was unterscheidet sie überhaupt noch vom Menschen? Und warum haben wir sie erschaffen? Data demonstrierte, wie weit er – trotz oder wegen seiner Limitationen – in seiner Entwicklung als künstliche Lebensform kam, doch im letzten TNG-Kinofilm Nemesis endete sein Leben. Zumindest glaubten wir das. PICARD setzt Datas Reise unter neuen, ungeahnten Vorzeichen fort. Jenseits von Tod und Wiedergeburt geht seine (R)Evolution als Android weiter.

 

Dialektik von Mensch und Maschine

Commander Data, was sind Sie?“„Ein Android.“„Was ist das?“„Websters Wörterbuch, 24. Jahrhundert, 15. Auflage, beschreibt einen Androiden als eine Maschine, die dem Menschen äußerst ähnlich ist.“ (William Riker und Data in TNG 2×09)

Mit diesen Worten drückte Data zu Beginn von TNG sein Verständnis darüber aus, was er ist. Das Wort ‚Android‘ stammt aus dem Griechischen und setzt sich zusammen aus ‚Andro‘ (Mann) und ‚id‘ (ähnlich). Der Duden definiert den Androiden als eine „Maschine, die in ihrer äußeren Erscheinung und in ihrem Bewegungsverhalten einem Menschen ähnelt (Kunstmensch)“. Ein idealer Android ist demzufolge ein künstlich geschaffenes Wesen, das sich vom Menschen nicht mehr ohne weiteres unterscheiden lässt. Maschine und Mensch verschmelzen.

Die Idee eines solch künstlichen Mannes geht ursprünglich nicht auf Star Trek-Erschaffer Gene Roddenberry zurück. Vielmehr wurzelt sie tief in der modernen Menschheitsgeschichte und hat sich im Laufe der Zeit in verschiedenen Erscheinungsformen gezeigt und weiterentwickelt. Bereits Mary W. Shellys Frankenstein aus dem Jahr 1818 konfrontierte uns mit der Erschaffung von künstlichem Leben. Der talentierte Wissenschaftler Victor Frankenstein vereint Teile verschiedener menschlicher Leichen und belebt sie. Es entsteht allerdings eine monströse und von der Gesellschaft wie auch von Frankenstein selbst verstoßene Kreatur, die letzten Endes durch die Ablehnung und Feindseligkeit, die sie erfährt, selbst gewalttätig wird und mordet. Dieses an und für sich bemitleidenswerte Wesen verwandelt sich demnach in ein Abbild von Hass und Vorurteil, wird zu einem Spiegel des Menschen selbst. Frankenstein trug den Untertitel Der moderne Prometheus, was ein deutlicher Hinweis auf den menschlichen Wunsch ist, selbst Leben zu schaffen und Gott spielen zu können. So ging es in dem Buch denn auch weniger um wissenschaftliche Authentizität, sondern darum, was einen Menschen zum Menschen macht, worin die Integrität einer menschlichen Persönlichkeit besteht und welche Rechte ein Individuum besitzt.

Dies sind die zentralen Fragen, die 169 Jahre später Gene Roddenberry mit der Kreierung der Figur des Data verfolgen wollte. Es geht darum, über den Weg der Verfremdung durch eine künstliche, hochintelligente Lebensform die fundamentalen Fragen der menschlichen Natur, Identität und Würde zu klären. Doch anders als Frankenstein oder zahlreiche andere Bücher und Filme, die künstliche Menschen als Monstren und Bedrohung für die Menschheit inszenieren, verfolgte Star Trek stets eine positive Utopie: Künstliches Leben wird, jedenfalls anhand des Hauptcharakters Data, als Chance und Verheißung dargestellt – und es wird in die Reihen der Menschen aus Fleisch und Blut integriert anstatt abgestoßen. Dennoch spielen der soziale Kontext und die gesellschaftlichen Wertvorstellungen, unter denen Data lebt und sich entwickeln kann, eine zentrale Rolle.

 

Das Gute in der Maschine

Anders als der Cyborg, der in der Verkörperung des bösartigen Borg-Kollektivs später Einzug in die Serie fand (TNG 2×16; 3×26; 4×01), beschritt der Android den entgegengesetzten Weg. Bei ihm handelte es sich um ein künstlich geschaffenes, positronisches Wesen, das die Annäherung an den Menschen aktiv anstrebte. Data war ein Prototyp dieses Prinzips, Vorreiter einer neuen Zeit. Sein Aussehen war im weitesten Sinne menschenähnlich, er interagierte auf eine menschenähnliche Weise mit seinem Umfeld und war mit einem entwicklungsfähigen Bewusstsein ausgestattet. Er wusste, wer er ist, was ihn ausmachte und war in der Lage, über sich selbst zu reflektieren. Die Fähigkeiten des Androiden zeigten sich in seiner exorbitanten kognitiven Leistungsfähigkeit – bei einem IQ-Test hätte er wohl jeden Menschen haushoch geschlagen –, die Defizite wiederum im emotionalen Bereich, der ihm während der sieben TNG-Staffeln nur äußerst schwer zugänglich blieb. Viele Jahre lang musste er ohne Empfindungen leben; Konzepte wie Freude, Trauer, Humor oder Intuition waren ihm fremd. Für Roddenberry war es äußerst entscheidend, der Maschine ein menschenartiges Aussehen zu verleihen, weil dies in seinen Augen eine Voraussetzung dafür war, Data als sich entwickelnde Persönlichkeit anzunehmen – sowohl in universe als auch auf Seiten des Publikums. Zugleich ermöglichte die exotische Erscheinung (weiße Haut, gelbe Augen, strenge Frisur, kühle Sprache, spezielle Mimik und schief gehaltener Kopf, die auf Verarbeitungsprozesse hinweisen), seine Andersartigkeit in Szene zu setzen.

Der stärkste Ausdruck von Datas Androidsein war sein durch die Serie hinweg zum Ausdruck gebrachtes Bestreben, ja seine Sehnsucht, Gefühle entwickeln und wie ein Mensch empfinden zu wollen. Daher bestand ein wesentlicher Kern von Datas Identität darin, dass er menschliche Verhaltensweisen beobachtete, studierte und imitierte. Paradoxerweise ahmte er bestimmte Mimiken und Gestiken von Zeit zu Zeit derart perfekt nach, dass der Zuschauer sich unweigerlich die Frage stellen musste, ob der Android tief in seinem Innern nicht doch zu bestimmten Gefühlsregungen fähig war. Diese Irritation wollten Roddenberry und spätere Produzenten ganz bewusst verursachen, um den Zweifel am vermeintlichen Gegensatz Mensch/Maschine zu mehren und alte Grenzziehungen ad absurdum zu führen. Dazu passt auch, dass Data durch seine ethischen Subroutinen von Zeit zu Zeit humanistischer und (vermeintlich) gewissenhafter agierte als seine Kameraden bei der Sternenflotte. Ein Beispiel dafür ist die TNG-Episode 6×09, in der Data sich weigerte, einen Befehl auszuführen, weil dadurch unschuldige Lebewesen in Gefahr gebracht worden wären. Erneut mit einer Art ethischem Fail Safe-Programm konfrontiert wurden wir im Film Der Aufstand, wo Data die Ba’ku instinktiv schützte. Dieser eingebaute ethisch-moralische Kompass ließ Data als nahezu unkorrumpierbar erscheinen, da rechtschaffenes Verhalten seiner Grundprogrammierung entsprach.

 

Die Maschine als Charakterisierung des Menschen

Eine der zentralen Fragen, die TNG aufwarf, betrifft die Motivation des Menschen, künstliches Leben in die Welt zu setzen. Warum tut er dies? Welche Absicht steht dahinter? 1997 veröffentlichte Richard Barbrook einen Essay namens Der heilige Cyborg, demzufolge es im Wesentlichen vier Menschheitsträume sind, auf die die Beschäftigung mit künstlicher Intelligenz und künstlichem Leben zurückgeht: „Babies zu machen ohne Sex zu haben; der Herr über Sklaven zu sein; Unsterblichkeit zu erlangen; ja sich sogar in reinen Geist zu verwandeln“. Einige dieser Aspekte wurden von TNG stark thematisiert und stellten bei der Entstehung der Drehbücher einen Ausgangspunkt dar. So wurde in der wegweisenden Episode Wem gehört Data? (2×09) bereits in der zweiten Staffel der Serie ein Szenario diskutiert, in dem Data massenhaft dupliziert und der Sternenflotte eine ganze Armee von Androiden zur Verfügung stehen könnte, denen jedoch die Rechte des Individuums vorenthalten bleiben. Captain Jean-Luc Picard wendete diese drohende Gefahr in der Rolle von Datas Verteidiger vor Gericht ab, indem er der Sternenflotten-Justiz glaubhaft vor Augen führte, dass sein androider Kollege und Freund längst die gängigen Kriterien einer intelligenten, ihrer selbst bewussten Lebensform erfüllte. Daher würde die Föderation in eine neue Form der technologisch fortgeschrittenen Sklaventreiberei zurückfallen, würde sie massenhaft Datas vom Fließband laufen lassen und diese zu einer Art Arbeitsklasse machen. Data erhielt folglich die vollständigen Rechte einer Person explizit zugesprochen und durfte fortan über sein Schicksal bestimmen. Die Androidenarmee blieb – noch – ein schwüler Albtraum, ehe die Föderation Jahrzehnte später in PICARD in dunklere Gefilde eintreten würde (siehe Kapitel 14).

Der Gedanke der Unsterblichkeit ist ebenfalls einer, der beispielsweise für Datas ‚Vater‘, den eremitenhaften Dr. Noonien Soong, eine Rolle spielte (TNG 4×03; 6×16). Für Soong war allerdings noch wichtiger, dass er mit Data ein selbst für ihn als Erschaffer wundersames Wesen in die Welt setzte, das in seinem nie enden wollenden Streben, menschlich zu sein, schier unendliche Potenziale für Verbesserungen und Selbstkritik bereithält – was auch die menschliche Natur betont, wie sie Star Trek propagiert (Jean-Luc Picard in VIII: Der Erste Kontakt: „Wir arbeiten, um uns selbst zu verbessern – und den Rest der Menschheit“).

 

Mit Datas Erschaffung wurde ein uralter Traum Wirklichkeit. © 2020-23 CBS Studios Inc. All Rights Reserved.

 

Der Spiegel-Androide: Lore als Uncanny Valley

Mit Lore wurde schon zu Zeiten der ersten TNG-Staffel (Episode 1×13) ein weiterer Android eingeführt, der wie Data vom menschlichen Erfinder Soong auf dem Planeten Omicron Theta erschaffen worden war. Lore war so gut wie baugleich mit Data, verfügte jedoch über ein komplexes Emotionsprogramm, das ihn weit menschlicher wirken ließ. Wie Datas ‚Bruder‘ nach seiner Reaktivierung einräumt, war er aufgrund seiner enormen Menschenähnlichkeit vielen Kolonisten auf Omicron Theta unheimlich, sodass diese Soong baten, ihn zu deaktivieren und einen weniger ‚perfekten‘ Androiden zu kreieren. Dieser zweite Android war dann Data. Es stellte sich heraus, dass der Lore-Android in Verbindung mit seinem Emotionsprogramm einen Charakter ausgeformt hatte, der zynisch, bösartig und auf Machtmehrung aus war und dem – anders als Data – ethisches Verhalten nichts bedeutete. So erfuhr Data, dass der hoch manipulative Lore in voller Absicht eine kristalline Entität nach Omicron Theta gelockt hatte, wo diese Kreatur sämtliche Kolonisten ermordete. Lore tauchte auch in späteren Episoden der Serie wieder auf (TNG 4×03; 6×26; 7×01; 7×10). Dabei zeigte sich, dass er – im Gegensatz zu Data – nicht anstrebte, menschlicher zu werden, sondern organische Lebensformen als minderwertig erachtete, ja sich ihrer entledigen wollte.

Die Frage, wie es sein kann, dass zwei an und für sich weitgehend baugleiche Androiden derart unterschiedliche Persönlichkeiten ausbilden konnten, blieb unbeantwortet. Vielleicht war dies Teil des großen Wunders, das wir mit positronischen Lebensformen bestaunen durften. Für die Zuschauer konnte es als starkes Indiz dafür gewertet werden, dass auch ein Android ein einzigartiges, hochempfindungsfähiges Lebewesen mit einer unverwechselbaren Identität ist. Eben diese Erkenntnis beförderte Picard in der Episode Wem gehört Data?, als er zu beweisen suchte, dass Data einen individuellen Charakter besitzt. Es ist nicht ohne Ironie, dass Datas dunkler ‚Zwilling‘ deutlich menschenähnlicher, aber deshalb eben nicht menschlicher war (jedenfalls nicht im normativ guten und wünschenswerten Sinne). Man kann es als Metapher sehen, dass der unvollkommene Data, der sich nach Emotionen und wahrer Menschlichkeit sehnte, ein perfekterer ‚Mensch‘ war als der andere Android, welcher über Gefühle und Humor verfügte, also hinsichtlich seiner Annäherung an den Menschen vermeintlich schon am Ziel angelangt war. Lore besaß nichts von jenem humanistisch-strebsamen Kern, der Data ausgezeichnet hatte; er war gierig, durchtrieben und überheblich. Die Figur des Data sandte somit eine starke Botschaft aus, dass diejenigen, die den Weg als Ziel sehen, unsere eigentlichen Vorbilder sein sollten.

 

Lore ist in gewisser Weise Datas dunkles Spiegelbild. © 1987-1994 CBS Studios Inc. All Rights Reserved.

 

Datas Reise in Richtung Menschwerdung

Die sieben TNG-Staffeln und die darauf folgenden vier Kinofilme können auch als eine Begleitung Datas gesehen werden, menschlicher zu werden, Gefühle zu begreifen und nachempfinden zu können. So lernten wir seine vielfältigen Hobbys kennen: Der angenehme synthetische Zeitgenosse spielte Oboe, Flöte und Violine (TNG 3×02; 4×25; 5×04; 7×10), beglückte seine Freunde mit einstudierten Gesangseinlagen (X: Nemesis), malte Ölbilder (TNG 6×16; 6×17) und schrieb Gedichte, u.a. für seine Katze Spot (TNG 6×05; 6×08). Unvergessen sind auch Datas schauspielerisch-theatralische Selbsterprobungen, die Picard immer stärker persönlich unterstützte (TNG 2×03; 2×04; 3×10; 7×23); sogar dem Träumen wandte er sich zu (TNG 6×16; 7×06). Allem voran aber bemühte er sich darum, Freundschaften aufzubauen und zu pflegen. Man denke hier insbesondere an sein Verhältnis zu Geordi La Forge, das herzliche Verbundenheit atmete. Mit dem Chefingenieur konnte Data nahezu alles teilen: Er konnte komplexe wissenschaftliche Herausforderungen bestehen, ihn jederzeit um Rat fragen oder auch einfach gemeinsam mit ihm Spaß haben. Ein herausragendes Erlebnis stellte dabei ein Holodeckabenteuer dar, in dem sie sich als Sherlock Holmes (Data) und Dr. Watson (La Forge) ausgaben und gegen das durchtriebene Mastermind Dr. Moriarty antraten (TNG 2×03; 6×12). War La Forge der brüderliche Freund, so lehnte sich die Beziehung zu Jean-Luc Picard an die von Vater und Sohn an. Picard ermutigte Data, das Wesen des Menschseins weiter zu erforschen, in die Tiefenschichten all seiner Facetten und Widersprüche einzutauchen. Beide teilten sie beispielsweise die Begeisterung für alte irdische Literatur (v.a. Shakespeare). Darüber hinaus wird in einer Episode wie Datas Tag (TNG 4×11) auch auf andere für ihn wichtige Personen auf der Enterprise eingegangen, darunter Keiko und Miles O’Brien, Beverly Crusher oder Worf. Sogar auf Gesten romantischer Zuneigung und Liebesbeziehungen ließ Data sich ein (TNG 3×02; 4×06; 4×25). Überdies sahen wir, wie Data Gegenstände mit einem persönlichen Wert besetzte. So hielt er ein holografisches Abbild der verstorbenen Tasha Yar in Ehren, mit der er seine ersten sexuellen Erfahrungen machte (TNG 1×03; 1×23; 2×09).

Data übersprang also die reine Maschinenebene bei weitem. Dennoch stellten wir im Laufe der Serie immer wieder fest, dass er eben doch kein Mensch war. Trotz all seiner Bemühungen, emotionsmotivierte Handlungen nachzuvollziehen, glaubte er, in seiner Entwicklung als künstliche Lebensform einen „toten Punkt“ erreicht zu haben, wie er gegenüber seinem Freund Geordi La Forge in Treffen der Generationen einräumte. Daher entschied er, sich einen experimentellen Emotionschip einbauen zu lassen, den er (dem zu diesem Zeitpunkt bereits in Gewahrsam genommenen und abgeschalteten) Lore entnommen hatte. Dank dieses ‚System-Upgrades‘ erreichte Data auf seiner Entwicklungsskala in Richtung Menschsein fortan eine neue Stufe, kam jedoch selbst mit dem Gefühlschip immer noch nicht an die menschliche Natur heran – das jedenfalls war seine Wahrnehmung, nicht unbedingt die seiner Freunde. Im TNG-Leinwandfinale Nemesis schien er seinen Emotionschip – die genauen Gründe erfahren wir nicht – wieder permanent abgeschaltet zu haben. Am Ende des Films opferte sich Data, um Picard und die Enterprise zu retten. Es ist nicht ohne Tragik, dass in seinem Tod vielleicht der größte Beweis für seine Menschlichkeit und Empfindsamkeit liegt. Data wusste nicht nur, für wen er sein Leben einzutauschen bereit war, sondern sah auch die Beendigung seiner Existenz als Teil des eigenen Strebens an.

Offenbar beendete ich meine Existenz in der Hoffnung, Ihre verlängern zu können. […] Ich glaube nicht, dass ich anders hätte handeln können.“ – „Wie wahr. Sie waren vermutlich niemals mehr Data als bei dieser Tat.“ (Data und Jean-Luc Picard in PIC 1×10)

Ist Data am Ende nun mehr Mensch oder mehr Maschine? Die Frage wird sich vermutlich nie ganz beantworten lassen. Doch vielleicht sollte sie das auch gar nicht. Picard machte früh in TNG deutlich, dass er Data als ein Wesen ‚sui generis‘ sieht, als eine eigene Spezies für sich. Diese Ein-Mann-Spezies lotete die Grenzbereiche zwischen Mensch und Maschine tagtäglich neu aus, brachte beides auf eine neue Weise zusammen und erweiterte somit den Kosmos des Lebens und der Möglichkeiten enorm. Data erforschte an der Seite seiner Freunde und Kollegen nicht nur die Sterne, nein, er war zugleich ein Erforscher der menschlichen Natur. Wenn das nicht der Star Trek-Geist in Reinkultur ist, dann vermutlich nichts.

 

Data wurde für Picard ein ganz besonderer Freund. © 2020-23 CBS Studios Inc. All Rights Reserved.

 

Der Tod ist (nicht) die letzte Grenze

In PICARD wird uns, Dekaden nach dem Finale von TNG, eine Föderation begegnen, die sich in ihrem Umgang mit Androiden als Lebensform stark verändert hat. So sehen wir, wie alte ethisch-juristische Grundsätze nicht länger gelten und die vorhin angesprochene Androidenarmee unter der Not äußerer Umstände doch entstanden ist (PIC 1×02; Roman I). Und letztlich erleben wir auch, wie all das im Handstreich wieder eingestampft wird: Nach einer ominösen Fehlfunktion, die zu einem Massaker der ‚Synths‘ auf dem Mars führt, wird androidem Leben buchstäblich der Stecker gezogen (ST: Children of Mars; PIC 1×01; 1×03). Der gealterte, nicht länger in der Sternenflotte tätige Admiral a.D. Jean-Luc Picard trägt schwer daran, hat er doch das Gefühl, dass das Erbe seines verstorbenen Freundes Data mit Füßen getreten worden ist und er dafür eine Mitverantwortung trägt. Doch dann wird Picard Jahre später unerwartet in ein Abenteuer verwickelt, in dessen Verlauf er erkennt, dass im Schutze der Abgeschiedenheit außerhalb des Föderationsraums unlängst ein hoch entwickeltes Androidenvolk nach dem Vorbild Datas entstanden ist.

Ist es möglich, einen empfindungsfähigen Androiden aus Fleisch und Blut zu bauen?“ – „[…] Ein Android aus Fleisch und Blut war vielleicht in Sicht, aber ein empfindungsfähiger? Nicht mal in tausend Jahren. […] Das Problem ist folgendes: Niemand hat je wieder über das Wissen verfügt, das nötig war, um Data zu entwickeln. Tja, und dann kam Bruce Maddox.“ (Jean-Luc Picard und Agnes Jurati in PIC 1×01)

Ein halbes Jahrhundert nachdem Dr. Noonien Soong seine Androiden erschaffen hatte, arbeitete sein (bis dato unbekannter) Sohn Altan Inigo Soong zusammen mit dem aus der Föderation geflohenen Bruce Maddox zurückgezogen auf dem Planeten Coppelius im Ghulion-System, um weitere Androiden zu kreieren und deren Evolution auf eine neue Stufe zu hieven. Mithilfe eines einzelnen positronischen Neurons von Data, das Maddox aus dem Daystrom-Institut geschmuggelt hatte, konnten er und Soong durch fraktales neuronales Klonen eine Reihe neuer androider Lebewesen aus der Taufe heben. Die ersten dieser Androiden ähnelten Data (mit goldener Haut und gelben Augen), während spätere Schöpfungen immer menschlicher anmuteten. Eine Folge des fraktalen neuronalen Klonprozesses war, dass die Coppelius-Androiden in identischen Paaren erzeugt wurden, unter ihnen auch die Zwillinge Dahj und Soji, auf die Picard zuerst im Zuge seines Abenteuers trifft (PIC 1×01; 1×09).

Das ist ein Symbol für fraktales neuronales Klonen. Das war eine so radikale wie geniale Idee von Maddox. Seiner Theorie nach könnte man Datas Code – selbst seine Erinnerungen – aus nur einem positronischen Neuron rekonstruieren. Wenn es also irgendwo einen Androiden gibt, der makellos ist, so wie Sie sagen…“ – „Dann wäre Data oder zumindest ein Teil von ihm, eine Essenz von ihm…“ – „Essenz, ja.“ – „…noch immer am Leben.“ (Jean-Luc Picard und Agnes Jurati in PIC 1×01)

Dahj und Soji sind von Maddox nach einem Gemälde von Data mit dem Titel ‚Tochter‘ entwickelt und nach kurzer Zeit auf Coppelius ausgesandt worden, um der wahren Ursache der ‚Synth‘-Rebellion auf dem Mars nachzuspüren, denn Maddox glaubte nie an einen Fehler im Betriebssystem der Arbeitsandroiden. Zur bestmöglichen Erfüllung ihrer Aufgaben erhielten die beiden weiblichen Androiden eine falsche Identität (PIC 1×01; 1×02; 1×05). Um ihre Tarnung perfekt zu machen, schuf Maddox äußerst aufwändige künstliche Erinnerungen für Soji und Dahj. Er programmierte sie so, dass sie ihr eigentliches Ich vergaßen und fest glaubten, Menschen zu sein, was ihnen u.a. hoch entwickelte artifizielle Reminiszenzen suggerierten (PIC 1×06). Die Illusion war so ausgefeilt, dass die beiden mehrere Jahre lang unentdeckt zwischen organischen Lebewesen in der Föderation leben konnten (PIC 1×01; 1×07; 1×09). Maddox‘ Plan sah vor, Dahj an seinem alten Arbeitsplatz, dem Daystrom-Institut, einzuschleusen, während Soji in der vom Romulanischen Freistaat unterhaltenen Rückgewinnungseinrichtung, einem stillgelegten Borg-Würfel, als Wissenschaftlerin arbeitet. An Bord des alten Kubus sammelt Soji dann diverse Informationen über die Borg und die Romulaner, ohne sich dessen bewusst zu sein (PIC 1×03; 1×08).

Wie sich herausstellt, ist Maddox und Soong mit der Weiterführung ihrer jahrelangen Arbeit im Verborgenen endlich ein Durchbruch gelungen. Die Coppelius-Androiden stellen einen bahnbrechenden Sprung nach vorn dar: Sie muten physisch wie Humanoide an, haben menschliche Körperfunktionen, eine geschlechtliche Identität, essen, trinken und können sogar bluten; sie sind in der Lage, Emotionen zu begreifen und authentisch-menschlich zu (re-)agieren, obgleich sich keine empathisch ablesbaren Muster bei ihnen finden lassen (PIC 1×07). Zugleich sind sie mit künstlich gesteigerter Kraft, Geschwindigkeit und Beweglichkeit ausgestattet. Wie weit die Coppelius-‚Synths‘ imstande waren, mit ihren intellektuell-mentalen Fähigkeiten zu kommen, beweist der Umstand, dass es manchen von ihnen gelungen ist, sich eine vulkanische Gedankenverschmelzung anzueignen, in Form von Berührungstelepathie (PIC 1×09). Auch der Bau von blütenartigen planetaren Abwehrsystemen (‚Orchideen‘) mit großem Wirkungspotenzial gehört dazu. Vor allem aber hegen diese neuen Wesen den intrinsischen Wunsch, mehr aus sich zu machen. Dahj, Soji und ihre Artgenossen sind damit nicht nur buchstäblich Nachfahren Datas, sondern der Beleg für Evolution einer Spezies, die sich zu etwas Höherem entwickelte. Ihre weiteren Potenziale erscheinen nahezu grenzenlos.

Diese Kopfneigung kenne ich doch sofort. Die Kleine hat Data in ihrer DNA.“ (William Riker in PIC 1×07)

 

Dahj und Soji entstanden nach der Vorlage eines von Datas Gemälden. © 2020-23 CBS Studios Inc. All Rights Reserved.

 

Data geht und kehrt zurück

Am Ende dieser wundersamen Odyssee wird Picard Datas konserviertem Bewusstsein auf Coppelius in einer von Altan Soong geschaffenen Quantenrekonstruktionsmatrix wieder begegnen. Es handelt sich genau genommen um die Persönlichkeit, den Verstand und die gesammelten Erinnerungen von Data (1.0), die er vor seinem Opfer in Nemesis in seinen ungleichen ‚Bruder‘ B-4 übertrug. B-4, eine unterlegene Nachbildung, konnte Datas Daten allerdings nicht verarbeiten; diese würden später von Soong in einer Art speziellem Holospeicher aufbewahrt werden. Picards Geist wird kurzzeitig in besagter Matrix zwischengelagert, ehe er in einen experimentellen Golem-Körper transferiert wird.

Ich bin mir bewusst, dass ich 2379 getötet wurde, habe aber keine Erinnerung an meinen Tod. Mein Bewusstsein existiert in einer extrem komplexen Quantenrekonstruktion fort, ermöglicht durch eine Kopie von Erinnerungen, die ich kurz vor meinem Tod in B-4 transferiert habe.“ (Data in PIC 1×10)

Dieser andere Data (2.0), dem er gegenübersitzt, entwickelte nach langem Aufenthalt in Einsamkeit und Stille den unbedingten Wunsch, würdig und bewusst zu sterben, um wahre Menschlichkeit zu erfahren. Der Kreis des Lebens soll sich für ihn schließen. Durch das Wiedersehen bekommt Picard nicht lediglich die Möglichkeit, seinem besonderen Freund das zu sagen, was er ihm immer hatte zum Abschied sagen wollen; er wird auch Datas Wunsch entsprechen, ihn in den Tod zu begleiten. So werden wir Zeuge einer der berührendsten Abschiedsszenen in Jahrzehnten Star Trek.

Sobald Sie zurückgekehrt sind, wäre ich Ihnen von Herzen dankbar, wenn Sie mein Bewusstsein abschalten würden.“ – „Sie möchten sterben.“ – „Nicht direkt, Sir. Ich möchte leben, wenn auch nur ganz kurz. In dem Wissen, dass mein Leben endlich ist. Erst die Vergänglichkeit verleiht dem Leben so etwas wie Bedeutung, Captain. Frieden, Liebe, Freundschaft… Alles dies ist so kostbar, weil wir wissen, dass nichts davon ewig währt. Ein Schmetterling, der unsterblich wäre, ist in Wahrheit nie ein Schmetterling gewesen.“ (Data und Jean-Luc Picard in PIC 1×10)

Letztlich lösen sich die alten Grenzen weiter auf. Leben und Tod verwandeln sich in ein Kontinuum. Denn Data wird – auch nachdem er zum zweiten Mal gestorben ist und somit final verloren scheint – wieder zurückkehren. Wie wir in Staffel drei rückblickend erfahren, hat Altan Soong die Aufhebung des Verbots synthetischer Lebensformen genutzt, um sich in einem letzten großen Schöpfungsakt daran zu begeben, eine ganz neue Art von Android zu kreieren. Dieser modifizierte, einzigartige Golem-Data (3.0) – ein biosynthetischer Hybrid mit Android-Interface – vereint die Datensätze von Data, Lore, Lal, B-4 und Soong, wobei die letzteren drei lediglich als Speicherdaten abgelegt wurden. Allerdings hat Soong die gesamten Persönlichkeiten von Data und Lore in den neuartigen M-5-10-Körper eingefügt. Er hat sich dabei der Vision verschrieben, dass der neue Android seine alten Limitationen endgültig hinter sich lassen soll; seine kognitiven Einzelteile sollen sich zu einem Ganzen integrieren. Indem er Datas und Lores Bewusstsein mit einer Menge zusätzlicher Daten miteinander kombinierte, hat Soong gehofft, dass sich die Persönlichkeiten unter neuen Vorzeichen verbinden und in einem eigendynamischen Prozess echte Menschlichkeit ohne irgendwelche Begrenzungen entstehen würde.

Bevor ich Picard meinen Golem geschenkt habe, hatte ich den Vorsatz, mein Leben überdauern zu wollen – als mein eigenes Vermächtnis. Jetzt, am Ende meiner Tage, sehe ich ein, dass das falsch war. In menschlicher und wissenschaftlicher Hinsicht. Denn Evolution ist kein Akt des Bewahrens, sondern der Ergänzung. In diesen neuen Golem wird ein wenig von Lal, von B-4 und von Lore einfließen…und natürlich ein großer Anteil von Data. Diesmal mit der Weisheit und wahren Ästhetik des Alters. Auf dass, so hoffe ich, in Ganzheit etwas – jemand – entsteht, der das Beste von uns in sich vereinigt.“ (Altan Soong in PIC 3×06)

Das Schöne an diesem Integrationsgedanken ist, dass er eine Art von Wahrwerdung eines lange gehegten Traums verheißt. Altans Vater, Noonien Soong, hatte sein Lebenswerk vergeblich dem Ziel gewidmet, einen Androiden zu schaffen, der authentisch menschlich und zugleich von Natur aus ‚gut‘ ist, der Menschlichkeit folglich in einem umfassenden und positiven Sinne erreicht (TNG 4×03; 6×16; 6×17). Nun jedoch erkennen wir, dass Noonien Soong im Grunde alle Ingredienzien längst zusammen hatte; er ist nur nicht auf den etwas abstrusen Gedanken gekommen, sie alle miteinander zu verbinden. Dies stellt sich tatsächlich als komplexe Herausforderung dar, wie sich noch zeigen wird (PIC 3×06; 3×07; 3×08). Hinter Altans Fusionsprojekt verbirgt sich eine interessante anthropologische Überlegung: Ist der wahre Mensch, wie Sigmund Freud (TNG 7×06) dies sagen würde, am Ende ein Abwägen zwischen seinem Über-Ich (logisch, rational) und seinem Es (impulsiv, gefühlsbetont)? Ist dieses Amalgam wahre Menschlichkeit? Macht es den Menschen aus, immer zwischen zwei Instanzen zu stehen, die seine Extrempole repräsentieren?

Das ist Data, der etwas Andere.“ – „In einem übernatürlichen, fast menschlichen positronischen Körper.“ (Geordi La Forge und Beverly Crusher in PIC 3×06)

Dieser neue positronische Körper ist sehr viel komplexer als der Data, den ich von früher kenne. Das ist mehr Kunst als Technologie.“ (Geordi La Forge in PIC 3×07)

Altan Soong starb im Jahr 2401, bevor er sein ambitioniertes Werk beenden konnte. Es ist ihm zu seinen Lebzeiten nicht gelungen, den M-5-10 zu einer neuen, kohärenten Persönlichkeit zu fusionieren. Stattdessen befürchtete er, dass Lore alle anderen Bewusstseins- und Datensätze vollständig vereinnahmen könnte, weshalb Soong eine Partitionierung implementierte, die die Persönlichkeiten von Data und seinem ‚Bruder‘ getrennt hielt. Nach seinem Tod wurde die Sternenflotte auf den neuen, nicht im vorgesehenen Sinne funktionstüchtigen Androiden aufmerksam und beschlagnahmte ihn (wohlgemerkt zu einer Zeit, in der künstliches Leben alle Rechte zugestanden bekommen hat). Der Golem wurde zur Daystrom-Station verlegt und vorübergehend zum KI-Sicherheitssystem umfunktioniert.

Die Integration ist fehlgeschlagen. Die Persönlichkeiten konkurrieren miteinander in diesem Gehäuse.“ (Raffaela Musiker in PIC 3×06)

 

Für Data ist Vergänglichkeit ein Teil des Menschseins. © 2020-23 CBS Studios Inc. All Rights Reserved.

 

Die finale Konfrontation – und Datas Triumph

Nachdem Picard, William Riker, Geordi La Forge und die übrige Crew der Titan den Golem von der Daystrom-Station bergen konnten, wird aufgrund äußerer Not ein Prozess in Gang gesetzt, bei dem sich die Trennung zwischen den Persönlichkeiten auflöst und Data und Lore offen um die Vorherrscht des M-5-10 kämpfen („ohne Sicherung, ohne Backups“). Damit sich der neue, weiterentwickelte Data nachhaltig durchsetzen kann, muss er sich dem Duell mit seinem dunklen ‚Zwilling‘ stellen, mit dem er sich den postmodernen Körper teilt. Lässt man sich auf diesen in PIC 3×07 und 3×08 geschilderten Vorgang ein, kann man tatsächlich Gefallen an den Szenen finden. In dieser finalen Konfrontation tritt Data auf einer sehr komprimierten und symbolischen Ebene den Beweis an, was den Wert eines Lebens ausmacht – ganz nach dem Motto: ‚Was lässt du Zählbares zurück, wenn du eines Tages stirbst?‘ In seinem machiavellistischen Duktus behauptet Lore, dass der Erwerb von Macht und das Ausüben von Dominanz einzig entscheidend seien. Er sei von ihnen beiden die mächtigere Person und Data folglich der Schwächere, sodass der Wert seines eigenen Lebens höher liege und er es verdiene, den Sieg im inneren Kampf davonzutragen. Lore bezieht sich damit auf seine zweifelhafte Fähigkeit, Kontrolle auszuüben und Furcht zu verbreiten. Hier greifen die Drehbuchautoren gekonnt auf diverse Referenzen in TNG zurück. Tatsächlich hatten die Kolonisten von Omicron Theta Angst vor Lore (wobei ihn diese Angst, die er nach seiner Aktivierung erfuhr, auch ein Stück weit im Frankenstein’schen Sinne prägte), ebenso wie die Besatzung der Enterprise (TNG 1×13) und die Splittergruppe der Borg (TNG 6×26; 7×01); sogar Noonien Soong fürchtete sein eigenes Werk (TNG 4×03).

Wir scheinen in Erinnerungen zu schwelgen. Scannst Du Deine bedeutungslosen Nostalgie-Werte? In meinem Verstand würdest Du sehr viel Mächtigeres finden. Symbole der Macht, der Eroberung. Das einzig sinnvolle Maß des ganzen Erfolgs eines Lebens. Während Du an altem Plunder festhältst.“ (Lore in PIC 3×08)

Im Gegensatz zu seinem herrschsüchtigen ‚Bruder‘ beruft sich Data auf etwas Völlig anderes: Er hat bei zahlreichen Personen einen positiven und seinen Tod überdauernden Eindruck hinterlassen, der sich hier anhand seines von Lore abschätzig titulierten „Plunder“ manifestiert: Data hat zeitlebens Wertschätzung, Freundschaftsgefühle und sogar Liebe bei anderen entstehen und reifen lassen – bei seinen Kameraden von der Enterprise, bei seiner Tochter Lal (TNG 3×16) und sogar bei seiner Katze Spot. Wie sich herausstellt, ist Lore dafür nicht unempfänglich, im Gegenteil, er neidet Data diese Lebensleistung zutiefst, selbst wenn er sich abfällig darüber äußert. Data vermittelt eine klare Botschaft: Die Liebe, die als Band zwischen Personen existiert, ist das alles Entscheidende, Überdauernde im Leben. Macht verfällt eines Tages, sie ist flüchtig, doch Liebe ist unbesiegbar. Liebe ist von bleibendem Wert.

Während ich zurückgelassen wurde, einsam und allein, wurdest Du mit all der Liebe und Freundschaft überhäuft, die die Galaxis zu bieten hatte. Was für eine Verschwendung. Du kannst ja nicht mal genug fühlen, um es zu genießen.“ (Lore in PIC 3×08)

Ich habe nur den Fehler im Versuch Deiner Täuschung gefunden: dass für Dich meine Erinnerungen doch nicht ohne Wert waren. […] Du hast Dir all das genommen, was mich ausgemacht hat. Und indem Du das getan hast…wurdest Du zu mir. Wir sind nun eins. Wir sind ich.“ (Data in PIC 3×08)

Was sich nun vollzieht, ist bemerkenswert, und das in gleich zweierlei Hinsicht. Denn Lore wird zwar von Data besiegt, aber Data löscht ihn nicht aus, sondern integriert ihn so in seine innere Partitur, dass er unter Kontrolle ist. Und mehr noch: Lore wird nicht unterworfen. Vielmehr scheint er sich am Ende aus Eingeständnis und Erkenntnis zu fügen, dass Data derjenige ist, der es verdient hat, das neue Lebewesen zu repräsentieren. Lore geht in den neuen Data über, verschmilzt mit ihm. Auf diese Weise erhält auch er etwas von dem, was ihm stets gefehlt hat; er erfährt damit jene Liebe und Freundschaft, von der sein lange Zeit so vermeintlich emotionskarger jüngerer ‚Bruder‘ durchdrungen ist. Letztendlich erfüllt Data somit Altan Soongs sehnlichen Wunsch (und wohl auch den Wunsch von dessen Vater Noonien) nach einem Androiden, der einen neuen Anfang darstellt. Die Vision wird wahr.

Data, sind Sie es?“ – „Ja, Sir. Nein, Sir. […] Ich bin Data. Nein. Ich war Data. Es gibt viele von mir in dem Daystrom-Androiden M-5-10. Gerade sprechen Sie mit einer Version von mir, die Ihnen freundschaftlich verbunden ist.“ (Jean-Luc Picard und Data in PIC 3×06)

Ich würde mir so wünschen, dass Sie alle den Freund von früher in mir sehen. Denn mit allen Vor- und Nachteilen habe ich mich verändert und bin…deutlich älter. […] Es war schon immer mein Wunsch, die Gesamtheit der menschlichen Erfahrungen kennenzulernen. Ich habe vom Tod gekostet. Aber das hier… Oh… Das ist neu.“ (Data in PIC 3×08)

 

Data kehrt auf neue Weise in einem Golem-Körper zurück. © 2020-23 CBS Studios Inc. All Rights Reserved.

 

Ein neues, verheißungsvolles Wesen entsteht

Aus der Vereinigung mit Lore unter Datas Kontrolle geht der neue Data (3.1) hervor. Dieser ist nicht einfach eine wiedergeborene Version Datas, sondern gewissermaßen etwas Neues, Anderes, mag er auch Datas Persönlichkeit im Zentrum haben. Bemerkenswert ist, dass sich die Unmengen eingespeister Erinnerungs- und Bewusstseinsdaten letztlich um Data herum gruppiert haben; das Ergebnis ist ein weit menschlicheres, erweitertes und dynamischeres Wesen. Zugleich hat der neue Data all das bekommen, was der alte Data stets ersehnte, in einem umfassenden Sinne echte Menschlichkeit in einem Körper an der Grenze zur Fleischlichkeit, der die ganze Bandbreite von Gefühlen hat und der sogar altert. Es ist durchaus bemerkenswert, dass Soong entschied, einen älterwerdenden Biosyntheten zu kreieren, der auch seiner Erscheinung nach eher an seinen sterblichen Schöpfer erinnerte. (Womöglich hat Soong dadurch das Gefühl, auf diese Weise in Data doch irgendwie weiterleben zu können.) Alter und Älterwerden sind jedoch ein elementarer Prozess des Menschseins. Andererseits erscheint es plausibel, dass Data theoretisch ewig wird leben können, da sein Bewusstsein bei Bedarf einfach weiter transferiert werden könnte, wobei die dritte PICARD-Season nicht auf solche Fragen eingeht.

Datas Auferstehung in einem neuen Kontext negiert nicht den Androiden, wie wir ihn kannten, sondern zeigt – analog zu den Coppelius-Bewohnern – die Evolution dieses komplexen, wundersamen Wesens. Data, den Roddenberry einstmals als eine Art ‚Pinocchio‘ bezeichnete, erlebt also die Wahrwerdung seines langen, entbehrungsreichen Strebens. Data 3.1 verfügt über Fähigkeiten und Charakteristika, die mit nichts vorher Dagewesenem vergleichbar sind. Er hat einen trefflichen Humor, benutzt Umgangssprache, verfügt über die ganze Palette echter Emotionen, und er hat einen Begriff für Vergänglichkeit und Älterwerden.

Admiral, Ladies und Gentlemen, erlauben Sie mir, Ihnen die allerneuste Version eines alten Freundes vorzustellen.“ – „Oh, ich bin noch sehr ich selbst, das kann ich Ihnen versichern. Obgleich mit einer Prise computergestützter Joie de vivre.“ (Geordi La Forge und Data in PIC 3×08)

Vieles ist für mich neu. Inklusive ich selbst. Ich bin noch Data, aber genauso Lore, B-4… alles, was Dr. Soong in mich hineinprogrammiert hat.“ – „Dann sagen Sie mir, was Sie fühlen?“ – „Ich fühle… Ich fühle.“ (Data und Geordi La Forge in PIC 3×08)

Vielleicht am bemerkenswerten: Dieser reinkarnierte Data besitzt Instinkt und Intuition, die er gegen Berechnungen und Statistiken halten kann. Dies knüpft sehr gut an mehrere Dialoge zwischen Geordi La Forge und dem einstigen Data in TNG an (z.B. 3×10). Hier versuchte La Forge Data noch näherzubringen, was es bedeutet, seinem „Bauchgefühl“ zu folgen. Doch nun erspürt Data Situationen und Möglichkeiten, und er ist durch die Fähigkeit, das bedingungslose Vertrauen seiner Freunde einzuholen, in einem gänzlich anderen Entwicklungsstadium angelangt.

Das ist völlig unmöglich!“ – „Vertrauen Sie mir!“ – „Ich sage: Nein!“ – „Statistisch gesehen, von der Wahrscheinlichkeit her, ja, da ist es fast unmöglich. Aber mein… Mein Bauchgefühl sagt mir, dass ich es schaffe. […] Ich bitte Sie inständig: Vertrauen Sie mir!“ (Geordi La Forge und Data in PIC 3×10)

Wo endet die Maschine, wo beginnt der Mensch? Datas wechselvolles und erfahrungsreiches Leben – das buchstäblich über die physische Existenz hinausreicht – zeigt, dass diese Frage gar nicht so einfach zu beantworten ist. Seine Entwicklungsrichtung strebt eindeutig in Richtung Menschlichkeit und Menschwerdung, und doch wird Data – erwachsen aus dem gütigen Androiden ohne Emotionen – stets ein einzigartiges Wesen mit einer eigenen, besonderen Natur und einem reinen Kern bleiben. Data ist und bleibt eine herausragende Persönlichkeit und ein Vorbild. Hier hat er uns allen eine Menge voraus.

Es sagt eine Menge über die Persönlichkeit von Commander Data aus, dass er auf die Menschheit blicken konnte mit all ihrer Gewalt und Korruption und vorsätzlichen Ignoranz und dabei trotzdem noch Freundlichkeit sah, unermessliche Neugier und Großherzigkeit. Und mehr als alles andere wollte er genau dies immer verkörpern – und ein Teil der menschlichen Familie sein.“ (Jean-Luc Picard in PIC 1×10)

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